Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Sandelholz.
»Jetzt sind sie weg«, sagte Gabriel nach einer Weile, »Der Kessel ist zurückgeblieben.«
Thalia hob den Kopf und blickte in den Nebel. »Ich frage mich, ob die Mönche wussten, was es mit dem Kessel auf sich hat?«
»Wenn nicht, passen sie verdammt gut auf einen einfachen Teekessel auf.« Sie benutzten ihn nicht täglich, sondern bewahrten ihn in einem verschlossenen Schrank in den Gemächern des Abtes auf, zu dem nur dieser den Schlüssel besaß. Kurz davor hatte ein mongolischer Soldat ebendiesen Schrank zertrümmert, während ein Mönch versucht hatte, ihn zu verteidigen.
Etwas später, kurz bevor ihn eine tödliche Klinge traf, stand der Mönch mit erhobenen Händen vor dem Schrank. Für einen Moment blitzte strahlende Energie auf. Er hatte versucht, einen Zauberspruch zum Schutz des Kessels zu rezitieren.
»Oh, Gott«, flüsterte Thalia. »Sie wussten, dass er magische Kräfte besitzt.«
Welche Kräfte er genau besaß, konnten sie nicht erkennen, denn über Generationen hinweg blieb er sorgsam verwahrt. Bis der Schrank eines Tages geöffnet wurde und ein Mönch den Kessel über Höfe und Gänge in die Tiefen des Tempels trug. Dort sah man Funken und Flammen. Ein Mann mit nacktem Oberkörper schlug das Metall in Form. Der Kessel entstand und verschwand unter dem Amboss des Schmieds. Als der Kessel sich in Rohmaterial verwandelte, bildete sich ein wirbelnder Lichtball. Ganz in der Nähe sang ein alter Mönch und zog Magie aus dem Feuer der Schmiede. Dann waren der Kessel und seine Kräfte noch nicht auf der Welt.
Die dichten Dampfwolken zogen sich rasch zusammen und verschwanden in dem Kessel, bis von der Geschichte nichts als feuchte Wärme übrig blieb.
Eine ganze Weile sagte niemand ein Wort. Nicht einmal ein Baby schrie.
Gabriel wandte sich an Thalia. »Sieht aus, als müssten wir nach China reisen«, sagte er.
»Ich gebe euch meine besten Reiter und Schützen«, verkündete Bold mit Nachdruck. »Wir sind zwar keine Soldaten aus der Armee Khans, doch wenn die Magie vor bösen Männern beschützt werden muss, kämpfen wir.«
Der Rat des Stammes hatte sich in Bolds Ger versammelt, um zu besprechen, was als Nächstes geschehen sollte. Sie gingen davon aus, dass die Erben nach Tsends Niederlage beim Nadaam bald anrückten. Sie befanden sich noch in dem Glauben, dass der Rubin die Quelle darstellte, und waren bereit, für ihn zu töten. Wenn sie herausfanden, dass der Rubin keine magischen Kräfte besaß, würden sie alles und jeden auf der Suche nach der wahren Quelle vernichten. Ihnen blieb nur wenig Zeit. Der Kessel befand sich seit Generationen im Besitz des Stammes. Doch alle waren sich einig, dass er an seinen Ursprungsort in dem chinesischen Tempel auf der anderen Seite der Wüste Gobi zurückgebracht werden musste. Dort sollten ihn jene bewachen, die ihn geschaffen hatten. Der Tempel war nicht zerstört worden, zumindest nicht von Khans Armee. Sie hofften, dass er nach Jahrhunderten immer noch stand. Eine Alternative gab es nicht.
»Die Männer, von denen wir vorhin gesprochen haben, sind gefährlich«, ließ Gabriel Bold wissen. »Sie wollen die Magie mit allen denkbaren Mitteln in ihren Besitz bringen. Sie würden dafür sogar töten. Ich kann nicht verlangen, dass Sie das Leben Ihrer Männer aufs Spiel setzen.«
Voller Stolz richtete Bold sich auf. »Das ist unsere Entscheidung. Wenn es um die Verteidigung unseres Land, unserer Familien und unserer Freunde geht, sind wir gern zu Opfern bereit.«
Gabriel verstand. Er blickte zu Thalia, die ernst und konzentriert wirkte. Hier ging es um das Schicksal ganzer Nationen. Sie zeigte keine Angst und kein Zögern, nur ein brennendes Verlangen, das Richtige zu tun.
»Gut«, sagte Gabriel knapp. »Holen Sie Ihre Männer. Wir brechen in einer Stunde auf. Falls die Erben zurückkehren, sollten einige zum Schutz des Ails hierbleiben.«
Bold nickte und verließ mit seinen Männern das Ger . Gabriel hörte, wie der Anführer Anweisungen erteilte und seine Männer zu ihren Pflichten eilten.
»Batu«, sagte Thalia und drehte sich zu ihm um. »Du musst sofort nach Urga reiten und meinem Vater alles berichten, was bislang geschehen ist.«
»Alles?«, wiederholte Batu und ließ den Blick von Thalia zu Gabriel und wieder zurückgleiten. Offenbar wusste er, was zwischen ihnen vorgefallen war. Das war offenbar nicht schwer herauszufinden. Schließlich fühlte sich Gabriel jedes Mal, wenn er Thalia ansah, als hätte er zu viel Wein getrunken.
Weitere Kostenlose Bücher