Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Spaziergang bezeichnen. Gabriel hatte sich jedoch immer auf das nächste Ziel konzentriert und sich nicht verrückt gemacht. So auch jetzt, wo er mit dem Feind im Rücken in hohem Tempo einem vagen Ziel entgegenritt.
»An den Erben ärgert mich am meisten, dass man sie immer erst sieht, wenn es schon zu spät ist«, knurrte er Thalia zu, die neben ihm ritt.
»Ich würde ja sagen, dass sie uns vielleicht gar nicht folgen«, sagte sie, »aber das wäre hoffnungslos naiv. Ich muss dennoch fragen: Bist du sicher?«
Gabriel blickte sich um. Sie ritten zu schnell, als dass er das Gelände gründlich überprüfen konnte, was ihn enorm störte. Wie sollte er Thalia und die Quelle schützen, wenn er diese miesen Erben nicht rechtzeitig bemerkte?
»Sie sind dort draußen«, sagte er. »Wegen ihrer verdammten Magie weiß ich nicht, wo genau. Aber sie sind uns auf den Fersen.«
»Wir sind vor fast einer Woche aufgebrochen«, gab Thalia zu bedenken. Ein unendlich harter Ritt, auf dem sie die Pferde halb totgeritten hatten. Thalia, Gabriel und ihre Begleiter brachen am Ende eines jeden Tages zusammen und fielen in einen kurzen, erschöpften Schlaf. Im Morgengrauen standen sie auf, um am nächsten Tag eine noch größere Strecke zurückzulegen. Es war anstrengend gewesen, doch niemand hatte sich darüber beklagt, auch Thalia nicht. Gabriels Körper beklagte sich allerdings heftig, dass er sie nicht berühren durfte, obwohl er ihr so nah war.
»Das ist egal. Vielleicht sammeln sie Kraft. Vielleicht spielen sie mit uns. Alles ist möglich.« Er biss die Zähne zusammen. »Ich hasse es, davonzulaufen, statt mich zu stellen und zu kämpfen.«
»Wir laufen nicht davon«, erwiderte sie. »Das ist ein … strategischer Rückzug.«
Er grinste schief. »Du klingst wie ein einfacher Offizier, der seinen Arsch retten will.«
»Einfach?« Sie schnaubte. »Wohl kaum.«
»Das stimmt. Du bist zu klug«, bemerkte er nachdenklich. »Du wärst ein erstklassiger Soldat.« Aber er war froh, dass sie es nicht war.
Thalia lachte. »Ich kann keine Befehle befolgen. Ist dir das etwa noch nicht aufgefallen?«
»Das habe ich schon bemerkt.« Und es gefiel ihm.
Hatte Batu inzwischen Urga erreicht? Gabriel versuchte sich vorzustellen, was der Diener Franklin Burgess erzählte. Nicht nur über die Quelle, die sie an einem so unwahrscheinlichen Ort entdeckt hatten, sondern über ihn und Burgess’ Tochter. Er wusste sicher nicht, wie man einem Vater erklärte, dass seine Tochter einen Liebhaber hatte. Doch was geschah bei ihrer Rückkehr? Gabriel dachte nicht darüber nach, was passierte, nachdem sie die Quelle in das chinesische Kloster zurückgebracht hatten. Wenn er das tat, würde er sich Hoffnungen machen und Pläne schmieden, und beides führte geradewegs ins Verderben.
Um dem zu entgehen, schien es am besten, wachsam zu bleiben. Was sich als schwierig erwies, wenn er ganze Tage im Sattel saß und nie mit Thalia allein war. Ihre Reitergruppe bestand ausnahmslos aus Männern, die es Gabriel sicher nicht verübelten, wenn er nachts das Lager mit ihr teilte. Doch er wollte ihnen nicht diesen schrillen Schrei zumuten, der kurz vor dem Höhepunkt tief aus Thalias Kehle drang.
Gabriel stieß im Geiste die heftigsten Flüche aus, die er sich je ausgedacht hatte. Er durfte sich nicht vorstellen, was für Geräusche sie von sich gab. Sonst verlor er noch den verdammten Verstand.
In seiner Satteltasche befand sich nicht bloß der Kessel, sondern auch der Rubin. Beides belastete ihn. Kurz bevor er Bold und seinen Stamm verließ, hatte ihn der Anführer daran erinnert, dass Thalia und er weiterhin ein Jahr lang für den Stein verantwortlich waren. Was bedeutete, dass sie auf ihn aufpassen und ihn zurückbringen mussten. Gabriel waren Pflicht und Verantwortung vertraut, dennoch empfand er große Anspannung. Doch er musste durchhalten.
Nach ein paar weiteren Tagen wichen die Steppen nach und nach steinigen, öden Weiten. Mit dem Grün verschwand zugleich alle Feuchtigkeit. Es herrschte keine Hitze, doch auf dem trockenen Boden spiegelte sich das Licht. Scharfe Winde trieben ungehindert Staub über das Land, sodass sie kaum atmen konnten. Dennoch war es wunderschön. Wie auch ein Messer in seiner Präzision schön war, karg und grausam. Muntere Gazellen mit weißen Schwänzen sprangen ausgelassen umher, amüsierten sich oder knabberten an den spärlichen Gräsern. Sie hielten mit dem hohen Tempo der Gruppe Schritt und verfolgten sie mit neugierigen
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