Die Klinik
daß jemand hinaufkommt und Ihnen hinunterhilft?« Wie Insektengeräusch drang das Summen der Menge zu ihm herauf.
Er blieb stehen und machte ein Zeichen, daß er in Ordnung war und keine Hilfe brauchte, aber das zwang ihn, zum erstenmal direkt hinunterzuschauen, und plötzlich war ihm durchaus nicht wohl. Er kletterte sehr vorsichtig weiter abwärts. Er hatte den halben Weg noch nicht hinter sich, als die Buh-Schreie und das Höhnen begann; es waren viele junge Leute im Publikum.
Benson war wütend, als Adam den Boden erreichte.
»Sind Sie krank, Silverstone?«
»Nein.«
»Zum Teufel, dann gehen Sie wieder hinauf. Jeder bekommt hie und da einmal Angst. Man wird Ihnen mehr Beifall spenden als sonst, wenn Sie wieder hinaufgehen und tauchen.«
»Nein.«
»Sie werden nie wieder beruflich tauchen, Sie gelber kleiner Judenbastard, das versprech’ ich Ihnen!«
»Danke sehr«, sagte Adam höflich, und er meinte es ehrlich.
Am nächsten Morgen nahm er den Bus nach Philadelphia zurück. Tags darauf ging er in das Krankenhaus, um als chirurgischer Techniker zu arbeiten, ein Posten, der ihm viele Erfahrungen im Operationssaal vermittelte.
Drei Wochen vor Beginn des Herbstsemesters las er eine Notiz auf der Anschlagtafel der Medizinischen Schule.
Wenn Sie sich für Anatomie interessieren und Geld brauchen, habe ich vielleicht eine Stellung für Sie.
Wenden Sie sich an das Büro des amtl. Leichenbeschauers Dr. med. Gerald M. Lobsenz Medical Examiner Philadelphia County, Pennsylvania.
Das Bezirks-Leichenschauhaus war ein altes dreistöckiges Steingebäude, das dringend einen Verputz nötig gehabt hätte, das Büro des Leichenbeschauers ein angeräumtes, staubiges Raritätenkabinett im ersten Stock. Ein mageres Negermädchen saß hinter einem Schreibtisch und klapperte auf der Schreibmaschine.
»Ja?«
»Ich möchte bitte Dr. Lobsenz sprechen.«
Ohne im Tippen innezuhalten, deutete das Mädchen mit dem Kopf auf einen Mann in Hemdsärmeln hinter einem Schreibtisch im Hintergrund des Zimmers.
»Setzen Sie sich«, sagte er. Er kaute an einer Zigarre, die ausgegangen war, und schrieb in einem Verzeichnis der Sektionsfälle. Adam saß auf einem Holzstuhl mit gerader Lehne und schaute um sich. Die Schreibtische, die sonstigen Tischflächen und die Fensterbretter waren mit zum Teil bereits vergilbten Büchern und Papieren beladen. Eine Buntnessel leuchtete in einem billigen rosa Plastikbehälter. Daneben stand ein kleiner Zweig voll absterbender Blätter, den Adam nicht identifizieren konnte und dessen trockene Wurzeln verzweifelt nach einem Zoll trüben Wassers auf dem Grund einer Laborretorte aus Pyrex angelten. Eine Whiskeyflasche, halbvoll, mit einem Schildchen, stand auf einem Bücherstapel. Auf dem Boden abgetretenes, nacktes Linoleum. Die Fenster waren schmutzig und vorhanglos.
»Sie wünschen?«
Dr. Lobsenz hatte verblichene, aber durchdringende blaue Augen. Sein Haar war grau. Er war schlecht rasiert, und sein weißes Hemd sah nicht mehr ganz frisch aus.
»Ich habe Ihre Notiz in der Schule gelesen. Ich bewerbe mich um den Posten.«
Dr. Lobsenz seufzte. »Sie sind der fünfte Bewerber. Wie heißen Sie?«
Adam sagte es ihm.
»Ich habe eine kleine Arbeit vor. Wollen Sie mitkommen? Ich interviewe Sie unterwegs.«
»Ja«, sagte Adam. Er wunderte sich, warum das Negermädchen grinste, während es ohne aufzublicken auf seiner Maschine dahinhämmerte.
Dr. Lobsenz führte ihn ins Kellergeschoß, zwei Dutzend Stufen tief, und die Temperatur sank um mindestens ebenso viele Grade.
Auf Tischen und Tragen lagen Leichen, einige mit Tüchern bedeckt, einige nicht. Sie blieben bei der Leiche eines alten mageren und abgezehrten Mannes mit sehr schmutzigen Füßen stehen. Lobsenz wies mit der kalten Zigarre auf die Augen. »Sehen Sie den weißen Ring in der Hornhaut? Arcus senilis. Bemerken Sie die Schwellung in der Tiefe der Brust? Das ist Altersemphysem.« Er drehte sich um und sah Adam an. »Werden Sie sich an diese Dinge erinnern, wenn Sie sie das nächste Mal sehen?«
»Ja.«
»Hm. Möglich.«
Er ging zu einer der Laden entlang der Wand, zog sie auf und blickte auf den darinliegenden Toten. »Verbrennungstod. Ungefähr fünfundvierzig Jahre alt. Sehen Sie die rosa Farbe? Zwei Ursachen. Erstens Kälte, zweitens Karbonmonoxyd im Blut. Wann immer Rauch oder gelbbrennende Flamme vorhanden ist, ist auch Karbonmonoxyd vorhanden.«
»Wie ist er gestorben?«
»Wohnungsbrand. Ging hinein, seine Mutter suchen.
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