Die Klinik
meinen Sie? Wollen Sie den Job? Sie können hier mehr über den menschlichen Körper lernen als in vier Medizinischen Schulen. Ich unterrichte Sie, während wir arbeiten.«
»Gut«, sagte Adam.
»Wir haben ein gutes Zimmer für Sie hier. Fünfundsiebzig Dollar monatlich.«
»Das Zimmer und hundert Dollar.«
Lobsenz’ Lächeln verschwand. Er blickte mißtrauisch zu dem Mädchen hinter dem Schreibtisch hinüber, das weitertippte. »Ich habe andere Bewerber.«
Vielleicht war es der Schnaps, der gerade jetzt seinen Magen wie eine Faust traf; er hatte das Gefühl, daß sein Kopf riesengroß wie ein Ballon in der Luft schwebte.
»Doktor, in einigen Monaten werde ich verhungern, wenn ich nicht sofort Arbeit bekomme. Wenn es nicht so wäre, würde ich diese schöne Stellung hier nicht mit einem nassen Fetzen anrühren.«
Lobsenz sah ihn an und lächelte plötzlich. »Los, kommen Sie, Silverstone. Ich lade Sie zum Mittagessen ein«, sagte er.
Das Zimmer im zweiten Stock mit der Milchglastür sah von außen wie ein Büro aus, aber es enthielt ein Bett und einen Schreibtisch. Die Laken konnten gewechselt werden, sooft er wollte; er konnte die Dienste der Bezirkswäscherei für seine persönlichen Bedürfnisse in Anspruch nehmen, eine wunderbare Zulage, die Dr. Lobsenz zu erwähnen vergessen hatte. Reinheit des Körpers wurde schon immer als eine Folge von Gottesfurcht erachtet. Francis Bacon.
Die Aufgaben waren für einen, der zwei Jahre medizinischer Schulung hinter sich hatte, nicht schwer. Anfangs störten ihn die Gerüche noch sehr, und er haßte das Kratzen der Säge, wenn sie sich durch einen Schädel biß. Aber Lobsenz unterrichtete während seiner Arbeit, und er war ein guter Lehrer. Im ersten Jahr der Medizinischen Schule hatte Adam in einem Anatomielabor einen konservierten Kadaver namens Cora mit sechs anderen Studenten geteilt. Als er Cora erbte, waren ihre Teile und Organe bis zur Unkenntlichkeit zerschnitten und untersucht. Jetzt hielt er die Augen offen und hörte Lobsenz aufmerksam zu, der sich sichtlich über sein Interesse freute, aber brummte, daß er eigentlich für den Unterricht bezahlt werden sollte. Insgeheim war auch Adam davon überzeugt; es war ein erstklassiger Privatunterricht in Anatomie.
Anfangs waren die Nächte schlimm. Das Nachttelephon stand in seinem Zimmer. Von sieben bis acht Uhr dreißig telephonierten Leichenbestatter, um die fünfunddreißig Dollar einzutreiben, die ihnen die Bezirksverwaltung jedesmal zahlte, wenn sie eine Leiche, um die sich niemand kümmerte, formlos in einer gewöhnlichen Holzkiste bestatteten; es war der gleiche Preis, den Benson für zwei Sprünge vom Turm gezahlt hatte.
In der ersten Nacht nahm er die Anrufe der Leichenbestatter entgegen, studierte zwei Stunden, richtete seinen Wecker, legte sich nieder, schlief ein und träumte vom Tauchen.
Als er erwachte, lachte er sich in der Dunkelheit aus. Typisch für einen Narren, wie ihn: während der Arbeit am Sprungturm war ihm alles egal gewesen, aber jetzt zitterte er in seinem Bett vor dem, was hätte geschehen können.
In der zweiten Nacht sprach er mit den Leichenbestattern am Telephon, studierte bis nach Mitternacht, richtete den Wecker, drehte das Licht ab und lag hellwach in der Dunkelheit.
Er zählte Schafe, kam bis sechsundfünfzig, bis sich jedes Schaf in eine Leiche verwandelte, die langsam über das Drehkreuz schwebte, während er sie abzählte. Er zählte von hinten, begann bei hundert und erreichte zweimal die Eins ohne das geringste Anzeichen von Schlaf, während seine Augen die Dunkelheit um ihn durchforschten.
Er dachte an seine Großmutter, erinnerte sich, wie sie ihn an ihre flache Brust hielt, wenn sie ihn in der Küche in Schlaf wiegte. Fa nana, fa nana, schlaf ein, Adamo. Bete zum heiligen Michael, er wird den Teufel mit seinem Schwert vertreiben.
Es war ein großes Gebäude, und es machten sich allerlei Geräusche bemerkbar, das Rütteln des Windes am Fensterglas, Knarren und Stöhnen, eine Art Geklingel, das Geräusch von Schritten.
Geklingel, das Geräusch von Schritten. Geklingel?
Schritte?
Er war doch angeblich allein im Haus. Er stand auf und machte Licht, um seine Kleider zu finden. Nicht Geister beunruhigten ihn; als Wissenschaftler glaubte er selbstverständlich nicht an das Übernatürliche. Aber das Eingangstor und der Eingang zur Ambulanz waren beide versperrt. Er hatte sie selbst verschlossen. Daher hatte sich vielleicht jemand gewaltsam den Eintritt zu irgend
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