Die Klinik
laufenden Stand. Es war sehr spät, als er Schluß machte, und er war versucht, das Lesen des Manuskripts zu verschieben, wußte jedoch, daß er es vielleicht nie lesen würde, wenn er damit nicht wenigstens anfing, solange er die Möglichkeit dazu hatte. Er rief die diensthabende Telephonistin an und sagte ihr, daß er im Labor zu erreichen sei.
Dann setzte er sich hinter den alten Eichentisch und nahm das Manuskript aus der Schachtel. Der Kaffee auf dem Bunsenbrenner brodelte, das alte Gebäude knarrte. In den Käfigen bissen einige Hunde nach Flöhen; andere stöhnten und kläfften im Schlaf, vielleicht jagten sie langsame Traumkaninchen oder besprangen läufige Hündinnen, von denen sie in der kalten, wachen Vergangenheit zähnefletschend vertrieben worden waren. Der Lärm weckte einige Tiere, und im nächsten Augenblick hatte ihr Bellen die übrigen aufgeweckt. Das Labor hallte vor Hundeprotest.
»Ist schon gut«, sagte er. »Gebt jetzt Ruhe. Geht schlafen, geht schlafen.« Albern, mit ihnen zu sprechen, als seien sie menschliche Patienten und könnten die beruhigenden Töne verstehen.
Aber sie beruhigten sich.
Er schenkte sich eine Tasse heißen schwarzen Kaffees ein, setzte sich wieder hin, schlürfte vorsichtig und begann zu lesen.
Die meisten Kapitel beeindruckten ihn tief. Der Still war eindringlich und täuschte Einfachheit vor, jene Art leichter wissenschaftlicher Lektüre, die schwer zu schreiben ist. Longwood hatte die erstklassigen chirurgischen Erfahrungen eines ganzen Lebens destilliert und nicht gezögert, sich auf die Arbeit vieler anderer chirurgischer Kapazitäten zu beziehen. Als Adam hundert Seiten des Manuskripts gelesen hatte, läutete das Telephon, und der Gedanke, daß man ihn vielleicht wegholte, erfüllte ihn mit Bedauern. Zum Glück war es Spurgeon mit der Bitte um einen Rat, den er ihm telephonisch geben konnte, ohne weggehen zu müssen. Begierig kehrte er zu dem Manuskript zurück.
Er las die ganze Nacht hindurch.
Als er mit den letzten drei Kapiteln fertig war, hatten sich die Fenster des Labors zu einem düsteren Grau erhellt.
Vielleicht, dachte er, kam es von seiner Müdigkeit. Er rieb sich die Augen, wärmte den Kaffee auf, trank noch eine Tasse und las die letzten drei Kapitel langsam noch einmal.
Es war, als seien sie von einem anderen Menschen geschrieben worden.
Trotz seiner verhältnismäßig geringen Erfahrung stieß er auf grobe Irrtümer. Der Stil war unklar, die Satzkonstruktionen gewunden, und es war schwierig, ihnen zu folgen. Im Material tauchten große Lücken auf.
Er las die Seiten noch einmal, und jetzt enthüllte sich ihm die schreckliche Entwicklung, das Bild des Dahinschwindens einer ungeheuren intellektuellen Kapazität.
Der Zerfall eines Geistes, erkannte er erschüttert.
Er versuchte zu dösen, konnte aber ausnahmsweise nicht einschlafen. Er verließ das Labor und frühstückte als Maxies erster Gast, ging dann durch die kalte Morgendämmerung wieder ins Tierlabor und legte das Manuskript sorgfältig in die Schachtel zurück.
Drei Stunden später wartete er auf Kender, der in sein Büro kam.
»Ich glaube, das sollten Sie lesen«, sagte er.
Als er in der folgenden Nacht im Finstern bei Gaby lag, erzählte er ihr, daß Longwood am Nachmittag von seinem Posten als Chefchirurg zurückgetreten war.
»Der Arme«, sagte sie. »Kann man denn nichts unternehmen?« fragte sie einen Augenblick später.
»Die Chancen, einen Leichenspender mit einer seltenen Blutgruppe zu bekommen, sind gering. Longwood kann durch Dialyse am Leben erhalten werden, aber Kender sagt, der Apparat sei die Ursache seines psychischen Versagens.«
Seite an Seite blickten sie zu einem schwarzen Himmel auf.
»Ich glaube nicht, daß ich die Maschine lange ertragen würde, wenn ich…«, sagte sie.
»Wenn du was?« fragte er schläfrig.
»Zum Tod verurteilt wäre.« Aber er war schon eingeschlafen.
Nach einer Weile streifte sie ihn mit ihren Zehennägeln, zweimal, bis er erwachte und sich ihr zuwandte. Ihre wilden Schreie sandten Klangkreise über das schwarze Meer.
Nachher trieb sie dahin, den Kopf an seiner Brust, während er wieder schlief und sein klopfendes Herz an ihrem Ohr flüsterte.
Lebendig, sagte es. Lebendig. Lebendig…
16
SPURGEO N ROBINSON
Der Mann war gebeugt und schwarz und weinte, ein keineswegs seltsamer Anblick im Krankenhaus, aber Spurgeon blieb doch bei der Bank stehen.
»Fühlst du dich nicht wohl, Alterchen?«
»Sie haben ihn
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