Die Klinik
umgebracht.«
»Das tut mir leid«, sagte er sanft und fragte sich, ob es ein Sohn oder ein Bruder war, ein Straßenunfall oder Mord.
Zuerst verstand er den Namen nicht.
»Haben ihn erschossen. Tot für immer. Unser Befreier, unser King.«
»Martin Luther?« fragte er schwach.
»Weiße Mütter. Erwischen am Ende alle und jeden von uns.«
Der alte Schwarze wankte fort. Spurgeon haßte ihn für diese ungeheure Lüge.
Aber es war die Wahrheit. Bald bestätigten es sämtlich Rundfunk und Fernsehapparate im ganzen Krankenhaus.
Spurgeon wollte sich selbst auf die Bank setzen und weinen.
»O Gott, es tut mir so leid«, sagte Adam zu ihm. Andere sagten Ähnliches. Er brauchte eine Weile, um zu erkennen, daß die Menschen ihm ihr Beileid genau so ausdrückten, wie er es dem alten Patienten gegenüber getan hatte, in dem Glauben, dieser habe einen persönlichen Verlust erlitten; im wesentlichen ließ es ihn unberührt. Erst später wurde er wütend darüber.
Er hatte keine Zeit, sich den Luxus eines Schocks zu gönnen. Dr. Kender berief das gesamte dienstfreie Personal ein. Das Suffolk County General Hospital hatte erst einmal, im Jahr zuvor, einen Rassenkonflikt erlebt und war damals unvorbereitet gewesen. Jetzt wurde nur das notwendigste Personal in den Abteilungen belassen, man stellte jeden Operationssaal zu sofortiger Benützung bereit. Jeder Krankenwagen wurde mit zusätzlichen Tragbahren und Material ausgerüstet.
»In jedem Fahrzeug muß ein zusätzlicher Arzt sein«, sagte Dr. Kender. »Falls die Hölle losbricht, will ich nicht, daß Sie nur mit einem Patienten zurückkommen, sondern mit zwei oder sogar drei.« Er wandte sich an Meomartino und Adam Silverstone. »Einer von Ihnen bleibt hier und leitet die Unfallstation. Der andere soll mit den Krankenwagen fahren.«
»Was wollen Sie übernehmen?« fragte Meomartino Adam.
Silverstone zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf, als Moylan hereinkam und über Schüsse aus dem Hinterhalt von Dächern berichtete, von denen der Polizeifunk gewarnt habe.
»Ich kann ebensogut auch in der Unfallstation bleiben«, sagte Meomartino.
Adam teilte die Bemannung der Krankenwagen ein und setzte sich mit Spurgeon in Meyersons Wagen. Ihre erste Fahrt stellte sich als Antiklimax heraus: auf der Schnellstraße waren drei Wagen zusammengestoßen, zwei Verletzte, keiner schwer.
»Ihr habt euch einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht«, sagte Meyerson zu dem einen, als sie ihn zum Krankenwagen trugen.
Aber das Krankenhaus war ruhig, als sie zurückkamen. Die Berichte über Schießereien hatten sich als unrichtig erwiesen. Die Polizei war zwar weiterhin in Alarmbereitschaft, aber noch hatte sich nichts ereignet.
Ihre nächste Ausfahrt galt einem Mädchen, das in eine zerbrochene Flasche getreten war.
Ihre dritte Fahrt ging nach Roxbury, wo es eine Schießerei in einer Kneipe gegeben hatte.
»Dort fahre ich nicht hin«, sagte Meyerson.
»Warum nicht?« fragte Spurgeon.
»Soviel Geld verdiene ich nicht. Sollen sich die Schweinehunde doch gegenseitig umbringen.«
»Los, heb deinen Arsch«, sagte Spurgeon.
»Ganz wie Sie wollen«, sagte Adam ruhig. »Wenn Sie heute abend nicht fahren, sind Sie hier erledigt. Dafür werde ich sorgen.«
Meyerson sah sie an. »Pfadfinder«, sagte er.
Er stand auf und ging langsam hinaus. Spurgeon dachte, er würde vielleicht einfach am Krankenwagen vorbeigehen, aber er öffnete die Tür und setzte sich hinter das Lenkrad.
Spurgeon ließ Adam in der Mitte sitzen.
Einige Läden in der Blue Hill Avenue waren mit Brettern verschlagen. Die meisten waren dunkel. Die beleuchteten trugen hastig über die Auslagenscheiben geschmierte Aufschriften: »Seelenbruder«, »Gehört einem Schwarzen«, »Eigentümer ist ein Bruder«. Sie fuhren an einem schon völlig ausgeplünderten Schnapsladen vorbei, einem von Ameisen kahlgefressenen Skelett, und aus den scheibenlosen Auslagen schlüpften Kinder mit Flaschen.
Spurgeons Herz brach um ihretwillen. Trauere, sagte er stumm. Weißt du nicht zu trauern?
Nicht weit von Grove Hall trafen sie auf die erste Menschenmenge, riesig ergoß sie sich wie eine Viehherde über die Straße, Gruppen, die sich drängend und schiebend von einer Straßenseite zur anderen im Kreis bewegten. Der durch die offenen Wagenfenster dringende Lärm war eine Mischung aus Karnevalsgebrüll, Flüchen und Faschingsdienstaggelächter.
»Da kommen wir nicht durch«, sagte Meyerson. Er hupte.
»Wir drehen lieber ab und umfahren
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