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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Papiertragtasche nieder, die er mitgebracht hatte, und stieß das Fenster weit auf, zog die Schuhe aus, ohne die Schnürsenkel aufzuknüpfen, streifte seinen weißen Anzug ab und schälte sich aus dem durchnäßten Unterhemd. Aus der Tasche holte er eine Sechserpackung Bierdosen, riß die Aluminiumlasche von der einen, trank ein Drittel des Inhalts auf einen langen, kalten Zug aus. Dann ging er seufzend zum Schrank und holte die Gitarre.
    Auf dem Bett sitzend trank er die Bierdose leer, begann an den Saiten zu zupfen und leise den Tenorpart eines Madrigals zu singen.
     
    There’s a rose in my gar-den And it has one sharp thorn. And I prick myself on it At least twice a morn. And I hasten to plead As I hasten to bleed: Wipe the blood Off the rose In my gar-den…
     
    Teufel, nein, dachte er bekümmert, die Stimmung in diesem Haus war eben nicht das richtige.
    Was er selbst immer als Anregung gebraucht hatte, war ein bewunderndes Publikum, ein schlankes Kätzchen, das ihm mit den Augen »kluger Spurgeon« sagte, den leichten, vielversprechenden Druck eines Knies, wenn sie neben ihm auf der Klavierbank saß, Burschen, die ihm einen Drink um den anderen aufdrängten, als sei er Ellington persönlich, und die ihn bestürmten, den einen oder anderen Song zu spielen.
    Er vermißte diesen Wirbel.
    »Deine Schuld, Onkel Calvin«, sagte er laut.
    Onkel Calvin war überzeugt gewesen, daß Spurgeon in irgendeiner Harlemer Kaschemme als Klavierspieler enden und sich für ein Butterbrot oder noch weniger umbringen würde. Er grinste, öffnete eine zweite Dose und trank auf das Wohl seines Stiefvaters, dessen Geld einen Arzt aus ihm gemacht hatte, trotz Spurgeons Weigerung, sich zur Weiterführung des Unternehmens einschulen zu lassen, für das sich der Alte den Großteil seines Lebens abgerackert hatte. Und dann trank er in dem winzigen überhitzten Loch von Zimmer, vor Schweiß triefend, auf sein eigenes Wohl.
    »Onkel Calvin«, gestand er sich, »das hier ist nicht ganz das, was ich mir unter Erfolg vorstelle.«
    Er ging zum Fenster und blickte auf die Lichter hinaus, die plötzlich aufzuleben begannen, je mehr sich die Stadt verdunkelte. Ich muß aus diesem Kleiderschrank hier weg, sagte er sich. Irgendwo da unten war eine behagliche Bude, wo er vielleicht ein altes Klavier aufstellen konnte.
    »Ihr Schweinehunde«, sagte er zu der Stadt.
    Drei Tage lang wohnte er im Statler-Hotel, während er Wohnungsanzeigen im Herald und im Globe beantwortete. Die Makler hatten auf Anrufe von Dr. Robinson herzlich reagiert, aber immer wenn er auftauchte, um sich die betreffende Wohnung anzusehen, war sie soeben vermietet worden.
    »Haben Sie je von Crispus Attucks gehört?« fragte er den letzten Wohnungsmakler.
    »Von wem?« hatte der Mann nervös gefragt.
    »Er war ein Farbiger wie ich. Er war der erste Amerikaner, der in eurer gottverfluchten Revolution getötet wurde.«
    Der Mann hatte verständnisvoll genickt und erleichtert gelächelt, als Robinson ging.
    Es mußte doch nette Häuser geben, in denen man mit dem Rassenvorurteil gebrochen hatte, dachte er.
    Nun, vielleicht hatte er sich Wohnungen angesehen, die zu hübsch waren. Er konnte sich ein behagliches Heim leisten. Einmal monatlich würde ein Scheck von Onkel Calvin kommen, obwohl Spurgeon erklärt hatte, daß er jetzt vom Krankenhaus Gehalt beziehen würde. Sie hatten lange miteinander diskutiert, bis er begriffen hatte, daß Calvin an jedem dritten Donnerstag im Monat, wenn er den Scheck unterzeichnete, zwei Dinge verschenkte: Geld, das er schätzte, denn es hatte eine Zeit gegeben, da er es nicht gehabt hatte, und Liebe, das Wunderbarste in seinem Leben.
    Guter Onkel, dachte Spurgeon zärtlich. Warum bringe ich es nicht fertig, ihn Vater nennen?
     
    Es hatte eine Zeit gegeben, an die er sich deutlich wie an einen bösen Traum erinnerte, als sie arme Nigger gewesen waren, bevor seine Mutter Calvin geheiratet hatte und sie reiche Neger geworden waren. Er hatte in einem Kinderbett neben dem Bett seiner Mutter geschlafen, in einem kleinen öden Zimmer im westlichen Teil der Stadt, in der 172. Straße. Der Raum hatte verschossene braune Tapeten mit Wasserflecken am oberen Rand der einen Wand, die vor langer Zeit entstanden, als im darüberliegenden Stockwerk etwas übergelaufen oder ein Dampfrohr leck geworden war. Er sah die Flecken immer als Tränenspuren, denn wenn er weinte, deutete seine Mutter auf sie und sagte, wenn er nicht zu heulen aufhörte, bekämen seine Wangen

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