Die Klinik
zweite, das zweite Mal der siebente oder achte in der Reihe gewesen. Und wer weiß, wie viele andere Parties es gegeben hatte, zu denen er nicht eingeladen worden war. Aber es fehlte ihm manchmal, sie nicht wie Louis singen zu hören.
Er konnte sich nicht vorstellen, daß Mammi das tat, was Fay getan hatte, die Beine spreizen und sich ganz naß und erregt winden, und dennoch wußte er irgendwo tief innen, daß sie es wahrscheinlich doch manchmal tat. Roe-Ellen kannte immer viele Männer, und hie und da pflegte sie Mrs. Simpson dafür zu bezahlen, daß Spurgeon in ihrer Wohnung bei ihren beiden Buben, Petey und Ted, übernachtete. Besonders ein Mann, Elroy Grant, ein großer, schöner Mann, der eine Kleiderreinigung in der Amsterdam Avenue führte, lief Mammi ständig nach. Er roch stark nach Whiskey und beachtete Spurgeon nicht, der ihn haßte. Er trieb sich mit tausend Frauen herum, und eines Tages fand Spurgeon Roe-Ellen weinend auf dem Bett liegen, und als er Mrs. Simpson fragte, was los sei, erzählte sie ihm, Elroy habe eine Witwe geheiratet, die eine Kneipe in Borough Hall besaß, habe die Kleiderreinigung zugesperrt und sei nach Brooklyn übersiedelt. Noch Wochen nachher war Mammi niedergeschlagen, dann riß sie sich endlich zusammen und verkündete, Spur müsse sich jetzt besonders vernünftig betragen, weil sie sich in einen Sekretärinnenkurs habe einschreiben lassen und vier Abende der Woche nach der Arbeit in der Patrick Henry High School am oberen Broadway verbringen würde. An den Abenden, an denen sie nicht in die Schule ging, richtete er es immer so ein, daß er zu Hause war; es wurden seine Feiertage.
Roe-Ellen besuchte den Unterricht zwei Jahre lang, und als sie den Kurs beendet hatte, konnte sie 72 Wörter in der Minute tippen und 100 Wörter pro Minute im Greggschen Stenographiesystem aufnehmen. Sie vermutete, daß sie nur schwer eine Stelle finden würde, aber nach zwei Wochen Arbeitssuche wurde sie im Schreibsaal der Lebensversicherungsgesellschaft »American Eagle« angestellt. Jeden Abend kam sie mit strahlenden Augen und mit Geschichten über neue Wunder heim, den Schnellift, die wunderbaren Mädchen im Sekretariat, die Zahl der Briefe, die sie an diesem Tag zustande gebracht hatte, die kurze Arbeitszeit, die Freude, ihre Beine ausruhen zu können und trotzdem einen vollen Arbeitstag bewältigt zu haben.
Eines Tages kam sie heim und sah fast verstört aus.
»Liebling, heute hab’ ich den Präsidenten gesehen.«
»Eisenhower?«
»Nein. Mr. Calvin J. Priest, Präsident der American Eagle Life Insurance Company. Spur, Liebling, er ist ein Farbiger!«
Es klang unsinnig. »Du mußt dich geirrt haben, Mammi. Wahrscheinlich ist er ein sehr dunkler Weißer.«
»Ich sage dir, er ist so schwarz wie du. Und wenn Calvin J. Priest etwas so Wundervolles schaffen konnte, wie Präsident der Lebensversicherung American Eagle zu werden, warum sollte es Spurgeon Robinson nicht auch? Baby, Baby, wir werden das Land, wo Milch und Honig fließt, doch noch sehen, das verspreche ich dir!«
»Ich glaube dir, Mammi.«
Ihr Transportmittel in das Land von Milch und Honig war natürlich Onkel Calvin.
Als Spurgeon erwachsen war, wußte er alles über Calvin Priest, wußte, wie er zur Zeit ihrer ersten Begegnung und auch, wie er früher gewesen war. Calvin war ein mitteilsamer Mensch, der seine Stimme anwandte, um Kontakte herzustellen, und die nach Roe-Ellen und ihrem Sohn mit Worten griff, als seien es Hände. Spurgeon trug im Laufe einer langen Zeit in vielen Gesprächen Stück um Stück von Calvins Leben zusammen, nachdem er endlose Erinnerungen und weitschweifige Geschichten gehört hatte, bis er das wahre Bild dieses Mannes, seines Stiefvaters, besaß.
Calvin Priest wurde während eines Tropengewitters am 3. September 1907 in der Stadt Justin geboren, im Pfirsichdistrikt von Georgia. Die Initiale J seines Namens bedeutete Justin, den Namen der Gründerfamilie der Gemeinde, in deren Haus Calvins Großmutter mütterlicherseits, Sarah, einst als Dienstmädchen und Sklavin gearbeitet hatte.
Das letzte überlebende Mitglied der Familie Justin, Mr. Osborne Justin – Rechtsanwalt, Stadtsyndikus, ein älterer Possenreißer, und Erbe gewisser traditioneller Rollen hatte der alten Sarah zehn Dollar geboten, wenn ihre Tochter das Baby Judas nennen würde, aber die alte Dame war zu stolz, und auch zu gerissen. Sie nannte das Baby nach der Familie des Weißen, trotz – oder vielleicht wegen der Tatsache,
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