Die Klinik
frei in der Luft, die ihm gehörte, und Calvin mußte weinen, als er ihm zusah. Es wurde ihm klar, daß Osborne Justin, Rechtsanwalt, Stadtsyndikus, älterer Possenreißer und Erbe gewisser traditioneller Rollen, schließlich doch zuletzt gelacht hatte, als er die alte Niggerdame in ein Armengrab verwies. Calvin hinterließ bei dem Prediger Geld für einen Grabstein und nahm dann den Bus zum Zirkus zurück. Er verwendete seinen mittleren Namen, Justin, nie wieder. Von dem Tag an war er einfach Calvin J. Priest.
Als die amerikanische Wirtschaft zusammenbrach, war er zweiundzwanzig Jahre alt. Er hatte das Land gesehen, seine Weiten und Höhen, die Riesenstädte und die verschlafenen Städtchen, und hatte entdeckt, daß er es verzweifelt liebte. Er wußte, daß es ein Land war, das nicht wirklich ihm gehörte, aber 1700 Dollar davon, sicher in einen braunen Socken gewickelt, gehörten ihm doch.
Der Markt krachte zusammen, als der Zirkus seine herbstliche Südtour begann, und als Geschäfte Bankrott machten und Firmen sich auflösten, konnte die ständig zunehmende Depression an der schwindenden Publikumszahl jeder Vorstellung abgelesen werden, bis der Zirkus in Memphis, Tennessee, seine Vorstellung vor elf Zuschauern hielt und ebenfalls bankrott machte.
Spurgeon mietete dort ein Zimmer und verbrachte den Herbst damit, zu überlegen, was er jetzt machen sollte. Zunächst lungerte er herum. Es war ein trockener Sommer gewesen, und er hatte viele Tage lang mit einer Mistgabel und einem Sack gefischt, eine Kunst, die ihm einmal ein Zirkusarbeiter aus Missouri beigebracht hatte. Er ging zu dem freiliegenden Bett des zurückgetretenen Flusses und brach die ausgetrocknete, zersprungene oberste Schlammschicht auf, bis er auf den üppig feuchten Untergrund stieß, wo sich die Katzenwelse wie fette schwarze Juwelen bis zu den Winterregen eingegraben hatte. Er erntete sie wie Kartoffeln und schleppte den Sack voller Welse heim, half seiner Hausfrau beim Abhäuten und Säubern, sie briet das süße weiße Fleisch, und die ganze Pension aß davon und sang Hosianna auf seine Fertigkeit mit Angel und Leine. Nachts im Bett las er in der Zeitung über Weiße, die früher Millionäre waren und jetzt aus den Fenstern der Wolkenkratzer sprangen, während er die Hand in die Tasche steckte und das Geld streichelte, wie ein Mann, der geistesabwesend seinen Geschlechtsteil berührt, und er überlegte, ob er in den Norden gehen sollte.
Die Tochter der Hausfrau namens Lena war eine Vagabundin, mit Augen wie weiße Tümpel in dem braunen Gesicht, entkräuseltem Haar und einem heißen Mund, der über Calvins Körper hinspielte, und eines Nachts lag er mit dem Mädchen im Zimmer und wollte sie auf der Matratze lieben, unter der das Geld verborgen war, aber ihr Liebesspiel wurde von einem Geräusch verdorben, das klang, als breche jemandem das Herz.
Als er das Mädchen fragte, wer denn hier weine, sagte sie ihm, es sei ihre Mutter.
Auf seine Frage nach dem Warum erzählte sie ihm, die Bank der Weißen, in der ihre Mutter ihr Begräbnisgeld aufbewahrt hatte, habe soeben Bankrott gemacht, und sie weine wegen des Begräbnisses, das sie nun nie haben würde.
Nachdem ihn das Mädchen verlassen hatte, dachte er an die alte Sarah und das Begräbnisgeld, das sie ihm seinerzeit mit einer Sicherheitsnadel an die Unterwäsche geheftet hatte. Er erinnerte sich an das dürftige Armengrab in Justin, Georgia.
Am nächsten Morgen streifte er in Memphis umher, wanderte nach dem Mittagessen aus der Stadt hinaus, an den Randbezirken vorbei, ins offene Land. Nach fünftägiger Suche entschied er sich für ein Grundstück von zwei Morgen, eine ausgelaugte Wiese, die sich zwischen eine Tannengruppe und ein ausgebranntes Flußufer drängte. Es kostete ihn sechs Einhundertdollarnoten, und seine Hände zitterten, als er das Geld auszahlte und die Urkunde entgegennahm, aber nichts hätte ihn abhalten können, denn er hatte sich alles genau überlegt und wußte, daß es das einzig Richtige für ihn war.
Weitere einundzwanzig Dollar und fünfzig Cent kostete ein schönes, großes schwarzweißes Schild mit der Aufschrift Shadowflower Cemetery, Friedhof Schattenblume. Der Name entstammte einem Vers des Buches Hiob, das Sarahs Lieblingsbuch gewesen war: Er gehet auf wie eine Blume / und fället ab / fleucht / wie ein Schatten / und bleibet nicht.
Calvin traf seine Hausfrau in der Küche der Pension gerade beim Wäscheauskochen an, und ihre rotgeränderten Augen
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