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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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gut, nur einmal fragte er seinen Stiefvater, warum er nicht mehr für andere Leute seiner eigenen Rasse tue.
    »Spurgeon, was kann ich tun? Wenn ich mein ganzes Geld nähme und es nur in einem einzigen Wohnblock Harlems unter allen Brüdern aufteilte, gäbe es dort nicht einen, der nicht früher oder später alles verschleudert hätte. Du mußt dir klar werden, daß alle Menschen gleich sind. Denke daran, Junge, ganz gleich, wie immer ihre Farbe sein mag, man kann sie nur einteilen in solche, die stinkfaul, und in solche, die zu arbeiten bereit sind.«
    »Das kann doch nicht dein Ernst sein«, sagte Spur angewidert.
    »Doch. Kein Mensch kann ihnen helfen, wenn sie nicht ihre eingefleischten Gewohnheiten ablegen und sich selbst helfen.«
    »Wie können sie sich ohne Bildung oder genügend Chancen selbst helfen?«
    »Ich habe es gekonnt, oder?«
    »Ja, du. Du bist einer unter einer Million. Für uns andere bist du eine Ausnahme, eine Laune der Natur. Ist dir das nicht klar?«
    In seiner jungen Unbeholfenheit hatte er es sozusagen als Kompliment gemeint, aber die bittere Verzweiflung in seiner Stimme klang für den Mann wie Verachtung. Trotz ihrer gegenseitigen Bemühungen stand noch Monate später eine dünne Glaswand zwischen ihnen. In jenem Sommer – Spur war damals sechzehn – lief er davon, fuhr zur See und sagte sich, er versuche herauszufinden, was sein toter Seemannsvater gewesen war, aber in Wirklichkeit wollte er seine eigene Unabhängigkeit prüfen. Als er im Herbst zurückkam, vermochten er und Calvin wieder von vorne anzufangen. Die alte Wärme war wieder da, und keiner von beiden wagte es je wieder, sie mit einem Streit über ihre Rasse zu gefährden. Schließlich erstarb der Grund zu Auflehnung in dem Jungen, und es gelang ihm schließlich, über die Einwohner von Bezirken wie der Amsterdam Avenue so zu denken, wie er über Weiße dachte.
    Das waren eben »diese Leute«.
    Schließlich verwirrte ihn das Zusammenleben mit Calvin völlig. In Riverdale, mit schwarzer Haut, aber weißen Lebensgewohnheiten, wußte er weder, was er war, noch was für eine Art Mensch zu werden man von ihm erwartete. Jetzt, als Arzt, wußte er, daß er Calvin Stolz auf seine Rasse schenkte (selbst die Justins aus Justin, Georgia, hatten nie einen Doktor in der Familie gehabt). Aber noch nach Jahren, nachdem er Riverdale verlassen hatte, dachte Spur sofort an das Apartmenthaus mit dem weißen Portier, wenn er den Godfrey-Cambridge-Standardwitz über die reichen Neger hörte: wenn man denen sagte, daß ein Nigger in der Nähe lauere, schrien sie auf, blickten verstört um sich und kreischten in wilder Angst: »Wo? Wo? Wo denn?!«
     
    Das kleine Zimmer unter dem Krankenhausdach war unerträglich heiß und ebenso weit von der Amsterdam Avenue wie von der behaglichen Klimaanlage in Riverdale entfernt. Er stand auf und blickte aus dem Fenster; das sechste Stockwerk des Krankenhauses war zurückgesetzt. Direkt unter ihm sprang das Dach des fünften Stocks ungefähr drei Meter vor. Er überlegte einen Augenblick, nahm dann ein Kissen und eine Decke, ließ beides aus dem Fenster fallen und kletterte dann mit der Gitarre und dem Bierkarton über das Fensterbrett.
    Eine leichte Salzbrise wehte vom Meer herüber, und mit einem Gefühl der Dankbarkeit lag er mit dem Kissen gegen die Wand gestützt auf dem Dach. Unter ihm flimmerten die phantastischen Lichter der Stadt, drüben rechts begann das weite Rund der endlosen Finsternis, der Atlantische Ozean, und in der Ferne flackerte gleichmäßig wie ein Zwinkern ein gelbes Licht, ein Leuchtturm.
    Durch das offene Fenster hörte er im Zimmer nebenan Adam Silverstone die Tür aufsperren, hereinkommen und dann wieder hinausgehen. Man hörte das Geräusch einer fallenden Münze im Einwurfschlitz des Wandtelephons auf dem Gang, und dann fragte Silverstone jemanden, ob er Gabrielle sprechen könne.
    Ich bin kein Horcher, dachte Spurgeon; was zum Teufel soll ich denn tun – vom Dach springen?
    »Hallo, Gaby? Adam. Adam Silverstone. Erinnern Sie sich – aus Atlanta…?«
    Er lachte. »Ich sagte Ihnen doch, daß ich herkommen würde. Ich habe eine Stellung als Facharztanwärter im County Hospital… Oh? Ich bin sehr schreibfaul. Wirklich, ich schreibe niemandem… Ich auch. Es war wunderbar. Ich habe viel an Sie gedacht.«
    Seine Stimme klang sehr jung, dachte Spurgeon, und ohne jene Sicherheit, die er als Arzt zur Schau stellte. Spurgeon sog an der Bierdose und dachte an das Leben, das dieser Weiße

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