Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
aber er vermochte sie nicht abzuschütteln. Vielleicht hatte ihn Gabys Angst vor dem Sterben sensibler gemacht, als ihm lieb war, dachte er. Was immer der Grund sein mochte, eine tiefe Wut über die Ohnmacht der Ärzte, der Verschwendung schöner Leben nicht Einhalt gebieten zu können, wallte in ihm hoch.
    Zum erstenmal, seit er die Medical School verlassen hatte, überfielen ihn große Zweifel bei seinen Visiten auf der Station. Er entdeckte, daß er eine Bestätigung seiner fachlichen Meinungen suchte, daß er davor zurückscheute, selbständige Entscheidungen zu treffen, die er noch vor wenigen Wochen ohne Zögern getroffen hätte.
    Er kehrte seinen Zorn gegen sich selbst und fand tausende Fehler an Adam Silverstone.
    An seinem Körper, zum Beispiel.
    Die alten Zeiten des Tauchens waren vorbei, aber er war noch immer jung, sagte er sich verdrossen, als er in den Spiegel blickte und an die weichen weißen Maden dachte, die sein Onkel mit dem Spaten zutage beförderte, wenn er im Frühling die Erde in seinem Tomatengarten umgrub.
    Wenn er in der Unterwäsche dastand und an sich hinunterblickte, konnte er eine leichte Wölbung des Bauches sehen, die Art Abdomen, die nur eine Schwangere im Frühstadium haben durfte, nicht aber ein junger Mann.
    Er kaufte Turnschuhe und einen Turnanzug im Harvard-Konsumladen und begann regelmäßig zu laufen, ein halbdutzendmal um den Block, wann immer er eine Dienstpause hatte. Nachts schützte ihn die Dunkelheit, aber wenn er morgens trainierte, mußte er vor kichernden Schwestern Spießruten laufen.
    Eines Morgens blickte ein kleiner farbiger Junge, etwa sechs oder sieben Jahre alt, vom Staubsieben im Rinnstein auf. »Mensch, wer ist hinter dir her?« rief er leise.
    Das erstemal antwortete Adam nicht, um Luft zu sparen. Als ihm jedoch die Frage jedesmal wieder gestellt wurde, wenn er um die Ecke des Blocks bog, begann er dem Jungen Antworten, kleine Geständnisse zuzuwerfen.
    »Susan Garland.«
    »Myron Silberstein.«
    »Spurgeon Robinson.«
    »Gaby Pender.«
    Er litt unter dem Zwang, die Frage ehrlich zu beantworten. Als er daher auf seiner letzten Strecke um den Block herumkam, mit Beinen wie Pumpenschwengel, mit Armen, die wie Dreschflegel durch die Luft flogen, rief er dem Kind über die Schulter zu: »Ich bin hinter mir selbst her!«
     
    An dem Vormittag, an dem sie den Fall Susan Garland diskutierten, entdeckte er etwas Neues an der Exituskonferenz.
    Er machte die Erfahrung, daß das Todeskomitee dann, wenn man selbst in einen der untersuchten Fälle verwikkelt war, plötzlich zu einem ganz anderen Tier wurde.
    Es war wie der Unterschied zwischen dem Spiel mit einer Hauskatze und mit einem Leoparden.
    Er schlürfte Kaffee, der ihm sofort den Magen versäuerte, während Meomartino die Krankengeschichte vortrug und dann Dr. Sack den post-mortem-Bericht erstattete.
    Die Autopsie hatte ergeben, daß die transplantierte Niere in Ordnung gewesen war, was Meomartino sofort freisprach.
    Bei der Transplantationsmethode Dr. Kenders hatte es mit den Anastomosen oder irgendeinem anderen Faktor kein Problem gegeben.
    Damit blieb nur einer übrig, erkannte Adam.
    »Dr. Silverstone, wann haben Sie sie das letztemal untersucht?« fragte Dr. Longwood.
    Plötzlich waren alle Augen auf ihn gerichtet. »Knapp vor neun Uhr abends«, sagte er.
    Die Augen des Alten sahen größer aus als gewöhnlich, weil der Gewichtsverlust seine langgezogenen häßlichen Gesichtszüge fast hager gemacht hatte. Dr. Longwood fuhr sich nachdenklich mit den Fingern durch das schüttere weiße Haar. »Es waren keinerlei Anzeichen einer Infektion vorhanden?«
    »Nein, keine.«
    Die Schwester hatte sie um 2 Uhr 42 früh tot vorgefunden.
    Dr. Sack räusperte sich. »Die Zeit ist unwichtig. Sie wäre in verhältnismäßig kurzer Zeit verblutet. Vielleicht in eineinhalb Stunden.«
    Dr. Kender klopfte die Asche von seiner Zigarrenspitze.
    »Hat sie über etwas geklagt?«
    Sie wollte die Haare gewaschen haben, dachte Adam idiotischerweise. »Allgemeines Unbehagen«, sagte er.
    »Leichte Bauchschmerzen.«
    »Welche Anzeichen?«
    »Der Puls leicht erhöht. Auch ihr Blutdruck schien erhöht, war jedoch normal, als ich ihn maß.«
    »Wie haben Sie sich diese Tatsache erklärt?« fragte Dr. Kender.
    »Zu der Zeit hielt ich es für ein günstiges Zeichen.«
    »Wofür halten Sie es jetzt, nach allem, was Sie heute wissen?« fragte Dr. Kender nicht unfreundlich.
    Sie behandelten ihn sehr sanft. Vielleicht war das ein Zeichen

Weitere Kostenlose Bücher