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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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kannst Fabio haben.«
    Die Stille war schwarz.
    Weinend warf er sich vorwärts und stieß unerwartet an die nicht sichtbare Wand, die er erst einige Fuß weiter vermutet hatte. Anstelle seiner Nase war nichts als ein großer Schmerz. Als die Knie unter ihm nachgaben, riß ein vorstehender Nagel seine weiche Wange auf, knapp an seinem rechten Auge vorbei. Auf seinem Gesicht war etwas Nasses, das weh tat, so weh, und in seinem Mundwinkel sammelte sich Salz.
    Als er auf den kühlen harten Lehmboden sank, spürte er eine sich ausbreitende weiche Wärme, ein gräßliches Hinunterrieseln an der Innenseite seiner Schenkel.
    In der dunklen Ecke raschelten Blätter, und etwas Kleines hastete davon.
    »Ich will ein großer Junge sein, ich will ein großer Junge sein«, kreischte Rafael.
     
    Fünf Stunden später, als man auf der Suche nach ihm, seinen Namen schreiend, immer wieder an ihm vorbeigegangen war, hatte jemand – das Faktotum Leo – die Idee, die Tür der Räucherkammer zu öffnen und hineinzuschauen.
    In dieser Nacht, beruhigt, behutsam gewaschen, die Rißwunde im Gesicht vernäht und mit grotesker, aber versorgter Nase, schlief er in den Armen seiner Mutter ein.
    Leo hatte berichtet, daß die Räucherkammer von außen verriegelt gewesen war. Im Bett des Kindräubers entdeckte man Fabio. Guillermo beichtete und wurde gebührend verprügelt. Am nächsten Morgen fand er sich bei seinem Bruder ein und brachte eine beredte und bußfertige Entschuldigung vor. Zur Verblüffung der Eltern spielten die beiden Knaben zehn Minuten später wieder miteinander, und Rafael lachte zum erstenmal seit vierundzwanzig Stunden.
    Aber sein Intelligenzquotient betrug 147, und selbst im Alter von fünf Jahren war er schon klug genug, um zu wissen, daß er etwas gelernt hatte.
     
    Sein Leben wurde davon geformt, daß er seinem Bruder auswich.
    Die Männer der Meomartinos pflegten im Ausland zu studieren; als Guillermo sich entschieden hatte, an die Sorbonne zu gehen, wurde Rafael ein Jahr später Student an der Harvard Universität.
    Vier angenehme Jahre lang wohnte er mit einem Jungen aus Portland, Maine, zusammen, George Hamilton Currier, dem derbknochigen Erben einer Konservenfabrik für gebackene Bohnen, deren Produkte als Grundvorrat in drei von zehn amerikanischen Küchenschränken standen.
    »Beany« Currier verlieh ihm seinen ersten und einzigen Spitznamen – Rafe – und setzte ihm ständig seine Ansichten über die Herrlichkeiten der medizinischen Laufbahn auseinander. Guillermo hatte beschlossen, an der Universität von Kalifornien Jus zu studieren – es war Tradition bei den Männern der Meomartinos, sich für einen Intelligenzberuf zu entscheiden, wenn sie auch später ihr Leben damit verbrachten, sich den Zuckerinteressen der Familie zu widmen, und als Rafe Cambridge als Zweitbester verließ, entschloß er sich nach genauer Überlegung, in Kuba Medizin zu studieren. Sein Vater war einige Jahre zuvor einem Schlaganfall erlegen. Die Welt seiner Mutter, die immer um das milde Feuer ihres Gatten gekreist war, erhielt ihre Stabilität durch eine ähnliche Kreisbahn um ihren Jüngsten. Sie war eine schöne Frau mit einem süßen, aber gequälten Lächeln, eine altmodische kubanische Dame, deren lange schlanke Hände leicht und geschickt Frivolitätenspitze zauberten, die aber doch so modern war, um abstrakte Kunst zu sammeln und sofort zum Hausarzt der Familie zu gehen, als sie schließlich den Knoten in ihrer rechten Brust entdeckte. Das schreckliche Wort wurde in ihrer Gegenwart nie ausgesprochen. Die Brust wurde eilig und unter besänftigenden Worten entfernt.
    Rafes Jahre an der Facultad de Medicina de la Universidad de la Habana waren schön, so wie sie nur einmal im Leben kommen, zusammengesetzt aus Jugend und Unsterblichkeit und Sicherheit in allem, woran er glaubte.
    Von Anfang an war der Krankenhausgeruch für ihn berauschender als die ekelerregende Süße des Preßrückstands von Zuckerrohr. Es war ein Mädchen da, eine Kommilitonin, Paula, klein und dunkel und warm, mit leicht vorstehenden Zähnen, mit nicht ganz vollkommenen Beinen, aber mit einem birnenförmigen Gesäß und einer Wohnung in der Nähe der Universität und einer absolut klinischen Verläßlichkeit in Sachen Geburtenkontrolle. Wurde Batista erwähnt, sah sie finster drein und verlor alles Interesse, daher ließ er es, Batista zu erwähnen – kaum ein Problem. Es gab Zeiten, da er in ihre Wohnung kam und eine kleine Gruppe, nie mehr als ein halbes

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