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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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geschlossenen Augen den kalten salzigen Nebel ein.
    »Du liebst es«, sagte er vorwurfsvoll.
    »Die Küste hier ändert sich ständig, ist aber trotzdem noch immer so, wie sie war, als mein Großvater diese Hütte für meine Großmutter bauen ließ. In Provincetown bietet mir ein Grundstücksmakler ständig ein kleines Vermögen für den Grund, aber ich will, daß meine Kinder es sehen, und ihre Kinder auch. Es ist ein Teil der John-F.- Kennedy-Seashore, daher darf hier nichts anderes gebaut werden, aber der Ozean knabbert an dem Land und nimmt jedes Jahr ein paar Fuß weg. In ungefähr fünfzig Jahren wird die Klippe fast bis zur Hütte abgenagt sein. Ich werde das Haus zurücksetzen lassen müssen, sonst holt es sich der Ozean.«
    Ihm war es, als hingen sie schwebend im Nebel. Weit unten dröhnte und zischte die Brandung. Er lauschte und schüttelte den Kopf.
    »Was ist?« fragte sie.
    »Der Nebel. Es ist eine fremdartige Atmosphäre.«
    »An Land nicht ganz so. Im Wasser ist er etwas völlig Fremdes, ein fast mystisches Erlebnis«, sagte sie. »Als ich hier lebte, brauchte ich keinen Badeanzug und ging im Nebel nackt baden. Es war unbeschreiblich – als würde man zu einem Teil des Meeres.«
    »Ist das nicht gefährlich?«
    »Man kann die Brandung hören, selbst von weit draußen. Sie sagt einem, wo das Land ist. Ein paarmal…« Sie ließ den Anfang des Satzes ungewiß in der Luft hängen, dann aber, als hätte sie einen Entschluß gefaßt, fuhr sie fort: »Ein paarmal schwamm ich hinaus, hatte aber nicht den Mut, weiterzuschwimmen.«
    »Gaby, warum wolltest du weiterschwimmen?« Hinter ihnen im Nebel begann eine Wachtel zu rufen. »Hat dir der Mann, der dich verließ, soviel bedeutet?«
    »Nein, er war ein Junge, kein Mann. Aber ich war… Ich dachte, daß ich im Sterben liege.«
    »Warum?«
    »Ich hatte furchtbare Schmerzen. Dann wieder stellenweise Gefühllosigkeit, überwältigende Müdigkeit. Die gleichen Symptome, die meine Großmutter hatte, als sie im Sterben lag.«
    Ah. Plötzlich paßte die Sammlung von Quacksalbereien im Medizinschränkchen zu der Erzählung. »Klingt wie ein klassischer Fall von Hysterie«, sagte er sanft.
    »Natürlich.« Sie ließ eine Handvoll Sand durch die Finger rieseln. »Ich weiß, daß ich eine Hypochonderin bin. Aber damals war ich überzeugt, daß mich eine schreckliche Krankheit das Leben kosten würde. Wenn man überzeugt ist, daß man so eine Krankheit hat, kann das genauso schlimm sein, als hätte man sie wirklich. Glauben Sie mir, Herr Doktor.«
    »Ich weiß.«
    »Vermutlich war das Schwimmen ein Weg herauszufinden, was ich fürchtete, ein Versuch, Schluß damit zu machen.«
    »Jesus, aber warum bist du hierhergekommen? Warum bist du nicht zu einem Arzt gegangen?«
    Sie lächelte. »Ich bin ja bei Ärzten gewesen, noch und noch. Ich habe ihnen einfach nicht geglaubt.«
    »Glaubst du ihnen jetzt, wenn sie sagen, daß du in Ordnung bist?«
    Sie lächelte. »Meistens.«
    »Das freut mich«, sagte er. Irgendwie wußte er, daß sie log.
    Der Nebel um sie herum begann sich zu lichten. Über ihnen drang ein Glanz durch den Dunst.
    »Was haben deine Eltern dazu gesagt, daß du hier draußen allein lebst?«
    »Meine Mutter hatte eben wieder geheiratet. Sie war… zu beschäftigt. Gelegentlich kam ein Brief von ihr. Von meinem Vater nicht einmal eine Postkarte.« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist wirklich ein Schwein, Adam.«
    »Gaby…« Er suchte die richtigen Worte. »Ich mag ihn nicht, aber wir haben alle unsere Fehler, jeder von uns. Ich wäre ein Heuchler, wenn ich ihn verurteilte. Ich bin überzeugt, daß ich das meiste von dem getan habe, weswegen du ihn haßt.«
    »Nein.«
    »Ich war den größten Teil meines Lebens auf mich allein gestellt. Ich habe viele Frauen gekannt.«
    »Du verstehst nicht. Er hat mir nie etwas gegeben. Nie einen Teil von sich. Er bezahlte mein Hochschulstudium, dann lehnte er sich bequem zurück und wartete, daß ich ihm gebührend dankbar sei.«
    Adam sagte nichts.
    »Ich habe das Gefühl, daß du dir dein Mittelschulstudium selbst verdient hast«, sagte sie.
    »Ich bin dank meinem Onkel Vito durch die Mittelschule in Pittsburgh gekommen.«
    »Deinem Onkel?«
    »Ich hatte drei Onkel. Joe, Frank und Vito. Frank und Joe waren stark wie Stiere, sie arbeiteten in Stahlwerken. Vito war groß, aber zart. Er starb, als ich fünfzehn war.«
    »Er hinterließ dir Geld?«
    Er lachte. »Nein. Er hatte kein Geld. Er war Wäschebeschließer im Umkleideraum

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