Die Knickerbocker Bande 32 - Kennwort Giftkralle
Stuhlbeine gebunden. Die einzelnen Wicklungen lagen so dicht beisammen, daß weder Haut noch Hosenbeine zu sehen waren.
Onkel Arthur versuchte den schmerzenden Kopf ein wenig zu drehen, um nachzusehen, wo sie sich überhaupt befanden. Es war ein ziemlich dunkler, sehr heißer Raum, in dem es übel stank. Von oben und von der Seite kam durch feine Ritzen zwischen den Brettern der Wände etwas Licht. „Das. das hier muß ein Stall sein“, erklärte Dominik. Sein Onkel gab ihm recht. „Wie. wie kommen wir hier wieder raus?“ fragte er. Dominik sah keinen Weg. „Schreien, wir müssen schreien, damit uns jemand hört und befreit!“ keuchte er. Er hatte schrecklichen, quälenden Durst, und sein Mund war völlig ausgetrocknet. Trotzdem öffnete er die Lippen und versuchte zu brüllen. Ein Krächzen war alles, was er schaffte. Onkel Arthur brachte auch nicht mehr zustande. „Die Hitze. das ist die Hölle“, jammerte Dominik.
Fliegen umschwirrten sein Gesicht und ließen sich auf seinen Wangen nieder. Der Junge zuckte und schnitt Grimassen, um sie loszuwerden. Falls sie hier nicht bald jemand herausholte, würden sie verdursten.
Vor Dominiks Augen tauchte Lieselottes Gesicht auf. „Nicht aufgeben! Klar denken!“ sagte sie eindringlich zu ihm. Das war leicht gesagt! Der Junge zog und zerrte an den Fesseln, aber die Fesseln schnürten sich nur noch enger zusammen, und das tat teuflisch weh. „Keine Chance, wir können uns nie befreien!“ wimmerte Onkel Arthur. „Ich habe einmal in einem Bericht von Geiern gelesen, die sterbende Menschen zu zerfetzen beginnen.“ Dominik mußte trotz allem lachen. „Quatsch, Onkel! Wir sind hier in einem Stall und nicht in der Wüste. Hier fressen uns höchstens die Fliegen.“
Eine Weile saßen die beiden still da und schwiegen. Die Strahlen der Sonne wanderten wie Leuchtzeiger über den dreckverkrusteten Boden, und Dominik starrte sie nachdenklich an.
Inmitten des engen Stalles sah er zu seiner Rechten eine kleine Mauer aus abgeschlagenen, scharfkantigen Steinen. Vielleicht waren dort einmal Ziegen angebunden worden.
Der Knickerbocker befand sich mit seinem Sessel nicht einmal einen Meter davon entfernt. Dominik nahm alle Kraft zusammen und versuchte mit dem Stuhl zu wippen und zu schaukeln. Er hatte kaum Möglichkeit, Schwung zu holen, da auch sein Oberkörper angebunden war. Trotzdem ließ er nicht locker und probierte es immer wieder.
Schließlich kippte der Sessel nach rechts, und die Armlehne stieß gegen die Mauer. In dieser unbequemen schrägen Lage hing der Junge nun da und versuchte hin und her zu rutschen. Die Windungen seiner Fesseln scheuerten dabei an den Kanten der Steine, und er hoffte, sie auf diese Art zerschneiden zu können.
Der Schweiß rann dem Jungen über den Körper, die Schmerzen breiteten sich langsam in alle Gliedmaßen aus, und er bekam das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Trotzdem werkte er weiter und weiter und versuchte zu erkennen, ob die Schnur schon rissig wurde. Was er sah, entmutigte ihn. Sein Unternehmen hatte keinen Erfolg. Er würde nie loskommen. Dominik beschloß aufzugeben. Er konnte nur hoffen, daß seine Kumpel nach ihm suchten und ihn fanden. Er holte Schwung, um sich wieder in eine aufrechte Lage zu bringen, warf den Oberkörper nach links und stieß einen heiseren Schrei aus. Der Sessel war nach hinten gekippt. Die Welt schien für den Juniordetektiv einzustürzen, die Decke des Stalles kam auf ihn herab, und die Wände drehten sich.
Peng! Die Lehne krachte auf, und die Welt stand wieder still. Der Knickerbocker wußte nicht, ob er träumte oder wachte. Er lag auf dem Rücken, die Beine in die Luft gestreckt, und kam sich wie ein Maikäfer vor. Aber da war noch etwas. Er konnte es kaum glauben. Sein rechter Arm ließ sich wieder bewegen. Nicht sehr weit, aber ein bißchen.
„Die Lehne. sie ist zerbrochen“, entdeckte der Junge. Er werkte und zerrte, ruckte, kämpfte und riß, und das Unmögliche geschah: Der Stuhl brach auseinander, und nach einigen Verrenkungen schaffte es der Knickerbocker, die Fesseln abzustreifen und sich zu befreien.
Mit einiger Mühe konnte er auch die Knoten der Schnüre seines Onkels lösen, und gemeinsam torkelten die beiden ins Freie. Sie mußten einander stützen und wußten nicht, ob sie weinen oder lachen sollten. Draußen angekommen, drehten sie sich im Kreis und konnten es kaum glauben. Sie waren mitten auf einem Feld. Im Norden erhoben sich sanfte Hänge, und im Süden sahen sie
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