Die Knickerbocker Bande 36 - Im Wald der Werwoelfe
endgültig abgebrochen werden sollte.
Um den Jungen und Mädchen etwas Abwechslung und Zerstreuung zu bieten, wurden sie in Bussen nach Barkerville gebracht. Die alte Goldgräberstadt war in den letzten Jahren hergerichtet worden und glänzte in alter Pracht.
Axel, Lilo, Poppi und Dominik schlenderten durch die breite Hauptstraße, in der sich früher die Goldsucher gedrängt hatten. An diesem Sonntag wimmelte es nur so von Touristen.
Das Städtchen bestand aus den Holzhäusern der Minenbesitzer, einer Brauerei, einem Kaufhaus, das von einem weißbärtigen Chinesen geleitet wurde, dessen Großvater hier gearbeitet hatte, einem Saloon, in dem ein Klavierspieler auf einem blechern klingenden Piano klimperte, einem Chinarestaurant, einer kleinen Zeitungsredaktion und einem Theater. Dort waren zur Zeit der großen Goldsuche zum Gaudium der Leute heiße Liebesdramen aufgeführt worden.
Am Ende der großen Straße sahen die Knickerbocker einige dunkelhäutige Männer, die damit beschäftigt waren, einen mächtigen Pfahl aufzustellen. “He, das ist ein Totempfahl!” erkannte Dominik.
“Ein was?” fragte Poppi. “Ein Totenpfahl?”
“Nicht Toten, sondern Totem!” verbesserte sie ihr Kumpel. “Die kanadischen Indianer haben diese Pfähle erfunden. In Indianerfilmen werden sie oft als Marterpfähle dargestellt, an denen Gefangene festgebunden wurden. Das ist aber absolut unrichtig. Der Pfahl ist ein Symbol für die Bedeutung und den Reichtum eines Stammes. Seht nur, dieser Stamm scheint Land zu besitzen, das reich an Tieren ist.”
“Das würde mich wundern!” meinte Lieselotte. “Denn bestimmt sind auch hier die Indianer in öde Reservate verdrängt worden, sofern sie nicht von den weißen Einwanderern ausgerottet wurden.”
Staunend betrachteten die Juniordetektive den kunstvoll geschnitzten, mindestens vier Meter hohen Pfahl. Köpfe von Bären, Wale, Seelöwen, ein Adler und mehrere Lachse waren zu erkennen. Es handelte sich ausschließlich um Abbilder von Tieren, die in diesem Teil Westkanadas lebten.
Die Knickerbocker beobachteten, wie immer mehr Touristen, aber auch Teilnehmer des Zehnkampfes kamen und den Indianern zusahen. Ein Zeitungsfotograf traf ein. Ihm folgten zwei Fernsehteams und mehrere neugierige Reporter.
Als der Totempfahl endlich stand, legten die Indianer Holzscheite daneben und zündeten diese an.
“Warum verbrennen die den tollen Pfahl?” fragte Axel aufgeregt. Die Indianer, die alle mit Jeans, Sportjacken und Baseballkappen bekleidet waren, drehten sich zu ihm um. Ihre Gesichter waren ernst.
“Als Mahnung!” antwortete einer. “Großes Unglück droht. Nur wenn ein großes Unglück verhindert wird, wird auch ein anderes nicht geschehen. Doch nur, wenn unsere Mahnung die richtigen Ohren erreicht.”
Nach diesen Worten verneigten sich die Indianer tief vor ihrem Pfahl, stimmten einen klagenden Gesang an und umtanzten den lodernden Stamm. Nachdem sie die Augen zum Himmel gerichtet hatten, versanken sie in ein kurzes stummes Gebet.
Ratlos blieben die Zuschauer zurück. Keiner hatte die Worte der Männer so recht verstanden. Die Mahnung hatte wahrscheinlich etwas mit der Natur und den Tieren in diesem Teil des Landes zu tun, aber gerade in dieser Gegend wurde dank Mister Anderson viel für den Naturschutz getan.
Was hatten die Indianer vermitteln wollen?
In Gedanken verloren spazierten die vier Freunde die Hauptstraße wieder zurück. Am Theater blieb Dominik stehen und studierte die alten Plakate, die Stücke wie “Flammende Leidenschaft”, “Heiße Küsse in der Prärie” und “Clementine in der Mine” ankündigten.
Zwischen den Plakaten hing ein gedruckter Zettel, der den Touristen mitteilte, daß das Theater bis auf weiteres geschlossen bleiben werde. In einem Monat würde am Rande von Barkerville eine Freiluftshow eröffnen, in der man den Zauber und die Romantik der Goldgräberzeit wiedererstehen lassen wollte. Neben Indianertänzen, einem Rodeo, einer Darstellung der Gebräuche der Goldschürfer und einem Überfall auf eine Postkutsche wurde auch eine Nummer mit zahmen Wölfen angekündigt.
Zahme Wölfe?
Dominik las die Zeile noch einmal. Er machte seine Freunde darauf aufmerksam, und sie hatten denselben Gedanken wie er. Sie liefen zu einer Frau, die in einem Kostüm der Goldgräberzeit durch die Straßen schritt und die Fragen der Besucher beantwortete, und wollten von ihr wissen, ob diese Wölfe vielleicht schon irgendwo in der Nähe waren.
Die Frau bejahte.
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