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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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unbekannt.
    Ein Beamter befahl ihm, sich auf den Fußboden zu setzen. Dafür war er sehr dankbar. Der Wärter befahl ihm weiter, seine Beine gerade auszustrecken und seine gefesselten Hände auf die Knie zu legen. Gehorsam befolgte er den Befehl.
    »Heißt du Gao Yang?«
    »Ja.«
    »Alter?«
    »Einundvierzig Jahre.«
    »Beruf?«
    »Bauer.«
    »Familienherkunft?«
    »Das … eigentlich … meine Eltern waren Grundbesitzer.«
    »Kennst du die Politik der Regierung?«
    »Ja. Wer geständig ist, wird milde behandelt, wer leugnet, wird streng bestraft. Wer sich hartnäckig weigert, ein Geständnis abzulegen, bekommt die ganze Schwere des Gesetzes zu spüren.«
    »Richtig. Und nun berichte uns ausführlich von deinem Verbrechen vom 28. Mai 1987.«
2
    Am 28. Mai war der Himmel mit dunklen Wolken überzogen. Gao Yang führte seinen kleinen Esel, der durch die Anstrengung der letzten Tage noch magerer und kleiner geworden war, mit einer Ladung von achtzig Bündeln nicht mehr ganz frischer Knoblauchstangen in die Kreisstadt, um noch einmal sein Glück zu versuchen. Es war der neunte Tag nach Onkel Viers Unfalltod, ein Ereignis, das für Gao Yang schon weit zurücklag. Er war in der Zwischenzeit viermal in der Kreisstadt gewesen und hatte fünfzig Bündel Knoblauchstengel verkauft, für die er hundertzwanzig Yüan bekommen hatte. Nach Abzug von achtzehn Yüan für diverse Steuern waren ihm einhundertzwei Yüan geblieben. Die achtzig Bündel Knoblauchstengel, die jetzt auf dem Wagen lagen, hätte er eigentlich schon vorgestern verkaufen können. Die Genossenschaft des Kreises Zhu Nan hatte nördlich der Eisenbahnschienen eine Ankaufstelle für Knoblauchstengel eingerichtet und zahlte pro Kilo einen Yüan zwanzig. Gao Yangs Knoblauchstengel lagen schon auf der Waage, da eilte, angeführt von Wang Tai, ein Trupp grau uniformierter Männer mit Schirmmützen herbei.
    Obwohl Gao Yang ihn höflich grüßte, beachtete Wang Tai ihn überhaupt nicht. Er ging zu den Genossenschaftlern aus Zhu Nan, beschimpfte sie laut und befahl seinen Männern, ihre Waage umzukippen. »Solange mein Kühlhaus nicht voll ist«, sagte Wang Tai, »schleppt mir niemand auch nur einen einzigen Knoblauchstengel aus dem Kreis Paradies ab.« Die Einkäufer aus Zhu Nan stiegen mißmutig in ihren Lastwagen und fuhren weg.
    Es blieb Gao Yang nichts anderes übrig, als seinen Knoblauch aufzuladen. Er versuchte noch einmal, die Aufmerksamkeit Wang Tais zu gewinnen, aber der drehte sich um und ging mit seinen Leuten fort.
    Zwei Tage später, am 28. Mai, hing der Himmel voller dunkler Wolken, als ob es jeden Augenblick donnern und regnen würde. Gao Yang überquerte gerade mit seinem Eselswagen die Eisenbahnschienen, da wurde ihm von weiter vorn die Nachricht zugerufen: »Das Kühlhaus ist voll, die Knoblauchstengel dürfen frei verkauft werden.«
    »An wen denn? Ihr habt die auswärtigen Kunden alle vertrieben. Ihr schert euch nicht um Leben und Tod der Volksmassen.«
    Verzweiflung griff um sich, aber keiner drehte seinen Wagen um und fuhr zurück. Es war, als ob vor ihnen doch noch Hoffnung läge.
    Die Wagen fuhren alle weiter, und Gao Yang schloß sich ihnen an. Ihm fiel auf, daß sie nicht in Richtung Kühlhaus abbogen, sondern zur bekannten Straße des Ersten Mai weiterfuhren, an der der Platz des Ersten Mai mit der Kreisverwaltung lag.
    Auf dem Platz versammelten sich unzählige Knoblauchbauern, und der Geruch ihrer Knoblauchstengel überlagerte alles. Am Himmel grollten die dunklen Wolken, die Bauern hatten bedrückte Gesichter und schimpften leise. Der blinde Zhang Kou stand auf einem alten Ochsenkarren, zupfte die Geige und sang mit rauher Stimme. Er hatte Schaumbläschen auf den Lippen. Sein Gesang rührte an die Herzen der Menschen: Gao Yang wußte nicht, wie es den anderen erging; er jedenfalls empfand abwechselnd Trauer und Wut, und zuweilen auch eine unbestimmte große Angst. Er hatte das Gefühl, daß sich Unheil zusammenbraute. Er sah Menschen mit Sonnenbrillen, die von einer kleinen Seitengasse aus den Platz fotografierten, und erinnerte sich dunkel, vor vielen Jahren etwas Ähnliches beobachtet zu haben. Er wollte seinen Wagen wegfahren und diesen spannungsgeladenen Ort verlassen. Aber sein Wagen war zwischen anderen Fahrzeugen eingekeilt, er konnte ihn nicht bewegen.
    An der Nordseite des Platzes führte die Straße des Ersten Mai vorbei, und hinter der Straße lag das Gelände der Kreisverwaltung. Auf dem Vorplatz wuchsen grüne Kiefern und

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