Die Knoblauchrevolte
Zypressen. Frische Blumen blühten. Eine Wassersäule stieg in der Mitte der Anlage in die Höhe und verwandelte sich in fallenden Schaum. Das Verwaltungsgebäude war ein schönes dreistöckiges Haus mit einem geschwungenen Dach aus glasierten Ziegeln. Die Außenwände waren mit gelben Fliesen belegt. An einer Fahnenstange im Vorhof wehte das rote Banner mit den fünf Sternen. Die Kreisverwaltung war so prächtig wie ein Kaiserpalast. Vor ein paar Jahren, erinnerte sich Gao Yang, als er Steuern für den Aufbau der Kreisstadt bezahlen mußte, hatte er gehört, die Kreisregierung wollte ein Hochhaus, einen Prachtbau, errichten, und das war, wie er nun mit eigenen Augen sah, keine Übertreibung gewesen. Auf der Straße des Ersten Mai wurden alle Fahrzeuge, die von Osten oder Westen kamen, von den Fuhrwerken der Knoblauchbauern aufgehalten. Die Fahrer hupten ungeduldig, aber keiner schenkte ihnen Beachtung. Als Gao Yang sah, wie gelassen die anderen alles aufnahmen, war er nicht mehr so aufgeregt und sagte sich, daß er im schlimmsten Fall den Wagen mit den Knoblauchstengeln verlieren würde.
Der blinde Zhang Kou sang laut: »Zur Mutter bringt man das weinende Kind; den Kreisdirektor sucht, wer seinen Knoblauch verkaufen will.«
Das zusätzlich mit Stahldrahtgeflecht gesicherte Gittertor, das auf das Gelände der Kreisverwaltung führte, war fest verschlossen. Ein paar gutgekleidete Verwaltungsbeamte streckten den Kopf aus dem Fenster, um zu erkunden, was auf dem Platz vor sich ging.
Mehrere hundert Menschen hatten sich vor dem Gittertor versammelt und riefen: »Kreisdirektor, komm heraus, Zhong Weimin, komm heraus!«
Fäuste und Stöcke schlugen gegen das Tor, doch auf dem Gelände dahinter herrschte Totenstille. Nicht eine einzige Amtsperson ließ sich blicken. Der alte Mann aus dem Pförtnerhaus kam mit einem großen Vorhängeschloß und brachte es am Riegel an. Die Leute spuckten Rotz und Speichel auf seine Kleidung und sein Gesicht. Er brachte kein Wort über die Lippen und floh überstürzt, als er fertig war.
»Alter Hund, alter Hund von Türsteher, mach das Tor auf!« rief die Menge.
Die im Stau stehenden Fahrzeuge hupten nicht mehr. Die Fahrer hingen aus ihren Wagenfenstern, um mitzubekommen, was da vor sich ging.
»Der Kreisdirektor soll kommen, der Parteisekretär soll kommen, wir wollen mit ihnen reden!«
»Zhong Weimin, komm heraus!«
Ein pferdegesichtiger junger Mann stieg auf einen Wagen. Er wirkte wie ein Kranich im Hühnerhof, als er laut rief:
»Leute, nicht alle durcheinander! Wenn alle durcheinanderschreien, kann euch der Kreisdirektor nicht verstehen. Hört auf mich. Ich rufe einen Satz, und alle sprechen ihn nach.« Der pferdegesichtige junge Mann stotterte ein wenig.
Die Masse brüllte zustimmend.
Der pferdegesichtige junge Mann hob die Arme und rief: »Der Kreisdirektor heißt Zhong Weimin. Er denkt nicht an das Volk, er denkt nur an sich selbst.«
Wie ein Mann wiederholte die Masse diesen Spruch.
Gao Yang wurde von der fiebrigen Stimmung angesteckt, warf die Arme hoch und schrie mit.
»Herr Kreisdirektor Zhong Weimin, komm heraus und hör auf das Volk.«
Der pferdegesichtige junge Mann hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Irgend etwas schien mit seinen Lippen nicht in Ordnung zu sein.
Die Masse brüllte so laut im Chor, daß einem die Ohren schmerzten. Gao Yang brüllte begeistert mit.
»Wenn du dein Amt nicht für das Volk führst, geh heim und pflanze Süßkartoffeln!«
Dieser Satz, den der pferdegesichtige junge Mann rief, war den meisten bekannt, und die Masse wiederholte die Worte wieder und wieder.
Schließlich kamen zwei Männer mittleren Alters, die Anzüge westlichen Schnitts trugen, aus dem Kreishaus, traten ans Gittertor und sagten mit fester Stimme: »Knoblauchbauern, bitte Ruhe, Knoblauchbauern, bitte Ruhe!«
Die Masse betrachtete die beiden Männer hinter dem Tor schweigend. Der etwas dünnere zeigte auf seinen Nebenmann, der eine getönte Brille trug, und stellte ihn vor: »Knoblauchbauern, das ist Herr Pang, der stellvertretende Chef des Büros der Kreisverwaltung. Herr Pang wird euch eine Anweisung erteilen.«
»Knoblauchbauern«, sagte der stellvertretende Bürochef, »der Kreisdirektor hat mich beauftragt, euch etwas zu sagen. Ihr rottet euch zusammen und stiftet Unruhe. Das ist verboten. Der Kreisdirektor fordert euch alle auf, nach Hause zu gehen. Laßt euch nicht von schlechten Elementen aufhetzen.«
»Was ist mit unseren Knoblauchstengeln?«
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