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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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sagte der Jüngere, »muß es auch korrekt zugehen.«
    »Die Minderheit muß sich der Mehrheit fügen«, erklärte der Dorfvorsteher. »Tante Vier, gib die Jacke heraus.«
    Tante Vier machte die Truhe auf und holte die wattierte Jacke heraus.
    »Bruder«, sagte der Ältere, »bei der Aufteilung müssen wir bedenken, daß ich bestimmt mein Leben lang Junggeselle bleibe, während es dir nicht schwerfallen dürfte, eine Frau zu finden. Deshalb kannst du die Jacke mir überlassen.«
    Der Jüngere erwiderte: »Mir macht es nichts aus, Scheiße zu fressen, aber schmecken tut sie mir deshalb noch lange nicht. Wenn wir schon alles aufteilen, müssen wir gerecht vorgehen. Keiner darf einen Vorteil haben, keiner darf zu kurz kommen.«
    »Eine wattierte Jacke«, sagte der Dorfvorsteher, »kann man nicht durch zwei teilen, es sei denn mit der Schere.«
    »Mir soll es recht sein«, erwiderte der Jüngere. Er holte ein Küchenmesser aus dem Nebenraum, legte die wattierte Jacke auf den Tisch und schnitt sie mit zusammengebissenen Zähnen entlang der Mittelnaht entzwei, während Tante Vier weinend zusah. Eine Hälfte warf er seinem Bruder zu. »Diese Hälfte gehört dir, die andere mir. Wir sind einander nichts schuldig.«
    Jinjü kam mit zwei abgetragenen Schuhen und sagte freundlich: »Das sind die Schuhe unseres Vaters. Einer für dich und einer für dich.« Damit warf sie jedem ihrer Brüder einen Schuh an den Kopf.

Sechzehntes Kapitel
    Ihr könnt mich verhaften, wenn ihr wollt.
    Ich habe mir das Strafgesetzbuch vorlesen lassen.
    Ein blinder Täter ist mit Nachsicht zu behandeln.
    Den Mund laß ich mir auch im Knast nicht verbieten.
    Aus einer Ballade, die Zhang Kou sang, nachdem ihn ein Polizist zunächst zum Schweigen aufgefordert und ihm dann den elektrischen Schlagstock auf den Mund gedrückt hatte. Der Vorfall ereignete sich am 29. Mai.
1
    Ein Beamter ging vorneweg, der zweite hielt sich neben Gao Yang und drückte ihm den Lauf seiner Pistole in die Rippen. So bewegten sie sich durch den langen Gang, der vor den Zellen lag. Jede der nebeneinanderliegenden Zellen hatte die gleiche graue Eisentür mit dem gleichen kleinen Türfenster. Der einzige Unterschied war, daß auf jeder grauen Eisentür eine andere arabische Zahl stand und ein anderes Gesicht durch das Türfenster nach draußen schaute. Die Gesichter waren groß und verschwollen, wie Gespenster. Gao Yang zitterte am ganzen Leib, jeder Schritt fiel ihm schwer. Ein weiblicher Häftling rief lachend durch die Tür: »Beamter, Beamter, kauf mir Monatsbinden. Ich gebe dir auch das Geld dafür.« Der Beamte schimpfte: »Elende Schlampe!« Gao Yang verdrehte den Kopf, um das Gesicht der Frau zu sehen. Der Wärter stieß ihn mit dem Pistolenlauf an. »Geh schneller.«
    Am Ende des Korridors kamen sie zu einer eisernen Tür, die zu einer engen und steilen Wendeltreppe aus Holz führte, die schon etwas baufällig war. Die Lederschuhe der Beamten klapperten beim Treppensteigen, so daß Gao Yangs bloße Füße daneben kaum zu hören waren. Nach der Nässe und Klebrigkeit des glatten Betonbodens seiner Zelle empfand er die Trockenheit und Wärme der Holzstufen als sehr angenehm. Die Treppe war so hoch, als ob sie nie zu Ende ginge, er atmete schwer, und die Windung der Treppe rief ein Schwindelgefühl in seinem Kopf hervor. Ohne das wortlose Drängen des Wärters, der ihm seinen Pistolenlauf in den Hintern drückte, wäre er rückwärts hinuntergefallen und wie ein toter Hund auf den Stufen liegengeblieben, ohne jemals das Ende der Treppe zu erreichen. Die Verletzung an seinem Fußgelenk klopfte genauso stark wie sein Herz. Haut und Fleisch waren so geschwollen, daß der Knöchel nicht mehr heraustrat. Aber er war heiß und schmerzte. Lieber Himmel, betete Gao Yang, laß es nicht eitern. Und wenn doch, wird die vornehme Frau mich dann operieren, um den Eiter herauszuholen? Ihm stieg wieder der Duft ihres Körpers in die Nase.
    Sie brachten ihn in ein großes Zimmer mit rot lackiertem Holzfußboden und grün gestrichenen Wänden. An manchen Stellen war die grüne Farbe abgeblättert, so daß der weißgraue Untergrund zum Vorschein kam. Obwohl es Tag war, leuchteten unter der Decke vier lange, summende Neonröhren. Vor der Nordwand stand eine Reihe Tische, hinter denen ein Beamter und zwei Beamtinnen saßen. In einer davon meinte er eine der Tomatenpflückerinnen zu erkennen. An der Wand über ihr standen acht große Schriftzeichen. Was sie bedeuteten, war Gao Yang nicht

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