Die Knoblauchrevolte
Schmerz im Knöchel rief die Ereignisse des Tages wieder in Erinnerung. Am frühen Morgen, als er aus dem Tor trat, hatte er ein erdgelbes Kaninchen aus dem Akazienwald heraushoppeln sehen, das ihm keine Beachtung schenkte. Dabei war ihm durch den Kopf gegangen, daß die Alten sagten, man habe den ganzen Tag kein Glück, wenn man morgens aus der Haustür komme und einen Hasen sehe. Später hatte ihn dann die Polizei abgeholt … er erinnerte sich nur mit Mühe daran, als ob diese Erlebnisse schon Jahre zurücklägen und dick mit Staub bedeckt wären.
Der alte Gefangene leckte sich die Lippen, zwinkerte mit den Augen und schlich sich an Gao Yang heran. Leise fragte er: »Du, ißt du nichts?«
Gao Yang schüttelte den Kopf.
Kaum hatte der Alte das gesehen, da ließ er sich blitzschnell auf den Boden sinken, grapschte aus der Blechschüssel den Kloß, der für Gao Yang reserviert war, und rutschte auf den Knien in die Ecke. Seine Schultern und sein Kopf zitterten. Aus seinem Mund kam ein Geräusch, das wie das freudige Schnurren einer Katze klang.
Auf einen Blick des Mittelalten hin sprang der junge Häftling dem Alten wie ein Tiger in den Rücken. Endlich hatte er Gelegenheit, sich für den Schlag mit der Suppenkelle zu rächen, und trommelte mit beiden Fäusten auf die eigentümliche Glatze des Alten ein. Dabei schimpfte er: »Alter Sittenstrolch, dir werde ich helfen, alles allein zu essen.«
Die beiden Gefangenen rollten über den Fußboden, prügelten sich und machten so viel Krach, daß sie den Posten alarmierten. Hinter dem Türfenster erschien wieder sein eckiges Gesicht, er schlug mit dem Gewehrkolben gegen die Gitterstäbe und schrie: »Idioten, seid ihr lebensmüde? Habt ihr zuviel zu fressen, ihr Schweinehunde? Wenn ihr so weitermacht, gibt es drei Tage kein Futter.«
Den ganzen Weg zurück zur Wachstube ließ der Posten fluchend seine Stiefel über die Steinplatten knallen.
Der alte und der junge Häftling wechselten wütende Blicke, wie zwei Kampfhähne, die sich in einer Kampfpause in Positur werfen: ein alter, dem schon fast alle Federn ausgefallen, und ein junger, dem noch kaum welche gewachsen sind. Die zitternde Hand des Alten hielt immer noch den Kloß fest umklammert. Für diese Beute hatte er es hingenommen, daß ihm der Junge mit seinen mageren Fäusten blaue Flecken und Schrammen schlug.
Der Mann mittleren Alters sagte mit tiefer und fester Stimme: »Alter Schurke, rück den Kloß heraus.«
Die Hände des Alten zitterten noch stärker. Sie drückten den Kloß fest gegen seinen Nabel.
»Wenn du ihn nicht hergibst, ersäufe ich dich heute abend im Pißeimer«, drohte der Mann mittleren Alters. Im trübgelben Lampenlicht glühten seine Augen wie Phosphor.
Dem Alten standen die Tränen in den Augen. Weil er keine Wimpern mehr hatte, kamen seine Tränen nicht tropfenweise, sondern als regelrechter Schwall unter seinen entzündeten Lidern hervor. Das konnte Gao Yang klar erkennen. Der Alte löste langsam die Hände vom Körper und lockerte seinen Griff. Gao Yang sah, daß sieben der zehn Finger des Alten im Kloß steckten, der längst nicht mehr wie ein Kloß aussah, sondern nur noch ein undefinierbarer Klumpen war. Der Alte weinte, sabberte und drehte plötzlich durch. Er riß ein Stück aus dem Kloß heraus und stopfte es sich in den Mund. Gleichzeitig schneuzte er sich und verzierte den Kloß mit zwei Streifen grünem Nasenschleim. Dann schleuderte er ihn in die Urinpfütze, die Gao Yang auf den Fußboden gemacht hatte.
»Laßt es euch schmecken, laßt es euch schmecken!« wieherte er.
Der Mann mittleren Alters lachte kalt. »Dreckskerl, ist das dein Spiel?« Er trat auf den Alten zu, packte ihn mit eisernem Griff am Hals und sagte leise: »Entweder du ißt diesen Kloß an meiner Stelle, oder dein Hundekopf landet im Pißeimer.«
Der Alte verdrehte so stark die Augen, daß man nur noch das Weiße sah.
»Sag schnell, wie willst du es haben?« fragte der Mann mittleren Alters.
Keuchend erwiderte der Alte: »Ich esse, ich esse den Kloß.«
Da ließ der Mann den Alten los und sagte böse zu Gao Yang: »Du bist auch so ein Jammerlappen. Gegen mich hast du keine Chance. Hier drin wird gemacht, was ich sage. Und jetzt leckst du die Pisse auf, die du auf den Boden gemacht hast.«
2
»Kommt, wir machen eine Wette! Wer schafft es, sich selber in den Mund zu pinkeln?«
Wang Tai, ein Schüler der sechsten Klasse der Höheren Grundschule des Dorfes Hohe Spur der Volkskommune Holzgraben im
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