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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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entgegenarbeitete.
    Ihre Schalen in der Hand, blickten die drei Esser Gao Yang überrascht an. Sein Gesicht war mit Schweiß bedeckt. Er spürte, wie ihm der Schweiß in die Augenbrauen rann. Seine Gedanken schweiften ab: Mein Gesicht muß unmöglich aussehen.
    »Kumpel, bist du krank?« fragte der Mann mittleren Alters barsch.
    Gao Yang konnte kein Wort hervorbringen. Er hatte alle seine Kräfte auf einen Punkt konzentriert, um das unsichtbare Ventil in seinem Inneren zu kontrollieren.
    »Sie haben hier einen Arzt, Kumpel«, sagte der Mann mittleren Alters.
    Gao Yang beugte sich vor und preßte beide Hände auf den Bauch. Vor Harndrang zitternd, schleppte er sich mühsam zur eisernen Tür. Er hob ein Bein an, als ob er damit das Ventil zuhalten könnte. Mit der Hand schlug er kräftig gegen die Eisentür. Es schepperte laut.
    Mit hallenden Schritten kam der Posten angerannt. Man hörte, wie ihm der Gewehrkolben beim Laufen gegen das Bein schlug. Gao Yang hämmerte weiter an die Tür.
    Durch das Türfenster fragte der Posten: »Was ist los?«
    Der Mann mittleren Alters erklärte: »Wir haben hier einen Kranken.«
    »Welche Nummer?«
    »Nummer neun«, sagte der junge Häftling.
    »Nein, nicht krank.« Gao Yang drehte sich um und erklärte den Mitgefangenen verlegen: »Ich muß pissen, ich kann es nicht zurückhalten.«
    Der Mann mittleren Alters hob die Stimme, um die Worte Gao Yangs zu übertönen: »Schnell, mach auf, er stirbt gleich.«
    Der Schlüssel knackte, der Eisenriegel wurde zurückgeschoben, die Tür ging auf. In der linken Hand das Gewehr, in der rechten den Schlüssel, fragte der Posten: »Nummer neun, was ist los?«
    Gao Yang verbeugte sich und sagte: »Genosse, ich muß austreten.«
    Das Gesicht wutverzerrt, stieß der Posten Gao Yang mit einem Fußtritt in die Zelle zurück und schimpfte: »Idiot! Wer ist hier dein Genosse?«
    Die Eisentür schloß sich krachend.
    Gao Yang stieß den Kopf gegen die Tür und schrie verzweifelt: »Ich meinte nicht Genosse, ich meinte Wärter. Wärter, Wärter, Wärter, laß mich raus, ich kann es nicht mehr halten, ich kann es nicht mehr halten.«
    »Idiot, in der Zelle ist ein Eimer«, brüllte der Posten.
    Gao Yang hielt sich mit beiden Händen den Bauch, drehte sich im Kreis und suchte überall nach dem Eimer.
    Die drei Gefangenen platzten fast vor Lachen.
    »Onkel, Bruder, Brüder, wo ist der Eimer, wo ist der Eimer?«
    Gao Yang begann zu wimmern. Er bückte sich und suchte unter den Pritschen. Jedesmal, wenn er sich bückte, traten ein paar Tropfen Urin aus.
    Die Zellengenossen sahen ihm lachend zu.
    »Ich kann es nicht halten«, schluchzte Gao Yang, »ich kann es nicht halten.«
    Das Ventil öffnete sich, und eine glühendheiße Flüssigkeit schoß hervor. Er dachte an nichts mehr, seine Beine zitterten, und alle Muskeln seines Körpers entspannten sich. Mit brennenden Beinen und heftig zitternd, erlebte er das größte Gefühl der Erleichterung, das ihm je widerfahren war.
    Der Urin floß über den Boden und bildete kunstvolle Muster. Der Mann mittleren Alters rief: »He, kleiner Dieb, bring ihm schnell den Eimer! Mach voran, der Kerl pißt uns alles voll.«
    Der Junge sauste zur Wand hinüber, öffnete eine unauffällige graue Klappe unter dem vergitterten Fenster und holte einen schwarzen Plastikeimer heraus. Sofort erfüllte ein schrecklicher Gestank die Zelle.
    Der Junge stieß Gao Yang an und sagte: »Schnell, mach in den Eimer.«
    Gao Yang öffnete sich in aller Eile die Hose und zielte in den Eimer, doch kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, da wurde ihm schon schlecht. Dann hörte er es plätschern, und es klang wie eine wunderschöne Musik. Entspannt schloß er die Augen und wünschte sich, das Plätschern möge nie mehr aufhören.
    Jemand versetzte ihm einen Schlag in den Nacken. Er schreckte aus seiner Verzückung hoch und stellte fest, daß er fertig war. Im Plastikeimer hatte sich Schaum gebildet.
    »Stell ihn wieder zurück«, befahl der Mann mittleren Alters.
    Gao Yang trug den Eimer zur Wand und schloß die grau lackierte Klappe.
    Jetzt erst merkte er, wie sehr die Zelle stank. Die drei Mithäftlinge starrten ihn ärgerlich an. Schuldbewußt nickte er ihnen zu. Er senkte den Kopf und setzte sich verschüchtert auf die Pritsche Nummer neun. Er fühlte eine große Leere in sich. Die vom Urin durchnäßte Hose klebte unangenehm an seinen Oberschenkeln, und die verletzte Stelle an seinem urinbespritzten Fußgelenk begann stechend zu schmerzen. Der

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