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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Frau auf den Rücken und gab beruhigende Laute von sich. Die Gefangene würgte noch eine Weile, dann hob sie die Hand, wischte sich die Speichelfäden vom Kinn und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Sie schloß die Augen und atmete tief.
    »Schwägerin«, fragte Tante Vier, »ist es das, was ich vermute?«
    Die Frau öffnete die glanzlosen Augen und starrte Tante Vier an, als ob sie ihre Frage nicht verstanden hätte.
    »Schwägerin, ich frage dich, bist du guter Hoffnung?«
    Die Gefangene öffnete den Mund und jammerte laut: »Mein Kind, mein Aiguo.«
    »Schwägerin, Schwägerin«, tröstete Tante Vier sie, »beruhige dich, beruhige dich doch. Was dich bedrückt, kannst du mir alter Frau ruhig erzählen. Wenn du es in deinem Herzen verschließt, wird es noch schlimmer.«
    »Tante, mein Aiguo ist tot, ich habe geträumt, daß er gestorben ist, sie haben ihm den Kopf eingeschlagen, sein ganzes Gesicht war voll Blut. Das Blut floß und floß, zuletzt war nur noch die weiße Kinderhaut übrig, wie bei den Läusen, die du ausgespuckt hast. Ich nehme ihn in die Arme, ich rufe ihn. Er öffnet die Augen und sagt: Mama, wann gehen wir zur Oma. Omas Hündin sollte Junge bekommen. Sie hat sechs kleine Welpen geboren, die ihre Augen noch nicht öffnen konnten. Sag Oma, sie soll einen für mich übriglassen, ich will einen schwarzen Rüden, Hündinnen ziehen andere Hunde an. Mein Aiguo führt seinen kleinen schwarzen Hund auf dem Flußdeich spazieren. Der kleine schwarze Hund hat ein Glöckchen um den Hals. Es läutet dingding, dangdang. Die Backen meines Aiguos sind rot. Seine großen Augen sind so schwarz, daß man darin sein eigenes Spiegelbild sehen kann. Auf dem Deich wachsen Blumen. Wilde Auberginen mit purpurroten Blüten, weißblühende wilde Kürbisse, Dotterblumen und hellroter Hibiskus. Mein Aiguo ist ein Junge, aber er liebt die Blumen wie ein Mädchen, er pflückt für mich einen Strauß aus purpurroten, weißen, blauen, roten und gelben Blumen, hält sie mir unter die Nase und sagt: Mama, riech mal. Duften sie nicht schön? Ich sage: Ein schöner Duft. Mein Aiguo pflückt noch eine weiße Blume und sagt: Mama, hock dich hin. Ich frage ihn: Warum soll Mama sich niederhocken? Mein Aiguo sagt: Tu es doch. Mein Aiguo hat ein sehr empfindsames Gemüt. Wenn ihm ein Wort nicht paßt, hat er gleich Tränen in den Augen. Deshalb hocke ich mich gleich hin. Mein Aiguo steckt mir die weiße Blume ins Haar und ruft: Meine Mama trägt Blumen im Haar, meine Mama trägt Blumen im Haar. Ich sage: Kind, wenn man Blumen ins Haar steckt, sollten es rote Blumen sein. Warum gibst du deiner Mama diese kleinen weißen Blumen? Mein Aiguo sagt: Kleine weiße Blumen sind schöner als große rote. Ich sage: Kind, weiße Blumen tragen bringt Unglück. Nur wenn man gestorben ist, bekommt man kleine weiße Blumen. Mein Aiguo erschrickt und schreit: Mama, du darfst nicht sterben, auch wenn ich einmal tot bin, darfst du nicht sterben.«
    Die Frau weinte wieder laut.
    Die Zellentür wurde aufgestoßen. Ein Wachsoldat mit aufgepflanztem Bajonett stand in der Türöffnung, einen weißen Zettel in der Hand. »Nummer sechsundvierzig, mitkommen.«
    Die Frau hörte auf zu weinen, aber ihre Schultern zuckten immer noch, und ihre Wangen blieben naß. Zu beiden Seiten des Soldaten mit dem Gewehr stand ein weißgekleideter Polizist. Links ein Mann, der Handschellen aus Messing, die goldenen Armbändern glichen, hochhielt, rechts eine Frau, die nicht sehr groß war, aber breite Hüften und einen dicken Po hatte. Ihr Gesicht war mit roten Pickeln übersät, auf denen weiße Häubchen saßen. Neben ihrem Mundwinkel prangte eine schwarze Warze, aus der ein paar Haare wuchsen.
    »Nummer sechsundvierzig, mitkommen.«
    Die Frau schlüpfte in ihre Schuhe und schlurfte zur Tür. Als sie auf den Korridor trat, legte ihr der männliche Polizist die goldenen Armbänder um die Handgelenke.
    »Los!« befahl er.
    Die Gefangene drehte sich noch einmal um und warf Tante Vier einen Blick zu, aber ihre Augen waren völlig leer und ohne Ausdruck. Tante Vier erschrak so sehr, daß sie sich setzen mußte und weder Hände noch Füße bewegen konnte. Sie hörte, wie die Eisentür mit einem Knall geschlossen wurde. Der Wachsoldat, sein glänzendes Bajonett, die weißuniformierten Polizisten, die graue Frau, alles war verschwunden. In der Zelle wurde es dunkel. Tante Viers Augen brannten.
3
    Wohin brachten sie sie? Tante Vier dachte darüber nach und versuchte etwas zu hören. Im

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