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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Hof kreischten die Zikaden. Aus noch weiterer Entfernung, vielleicht von der breiten Straße her, kam ein Geräusch, als ob Metall mit Metall zusammenstieße. In der Zelle wurde es langsam wieder hell. Wie kleine blaugrüne Sternschnuppen sausten die Schmeißfliegen unter der Decke herum. Seit sie die Mitgefangene weggebracht hatten, fühlte Tante Vier sich einsam und angespannt. Ihr ging auf, daß sie immer noch auf der Pritsche von Nummer sechsundvierzig saß. Vage fiel ihr wieder ein, daß man nicht auf fremden Pritschen sitzen durfte. Das hatte ihr die hübsche Aufseherin eingeschärft, gestern, als das Licht anging. Ein grünes Insekt krabbelte ihr über die Hand. Sie hob die Hand, um es totzuschlagen. Aus seinem zerquetschten Leib quoll etwas gelber Saft, der scharf roch. Tante Vier mußte an den Geruch von Knoblauchstengeln denken. Es roch ganz ähnlich. Tante Vier mußte unentwegt an das Weinen ihrer Zellengenossin denken. Die Geschichte, wie sie mit ihrem Sohn Aiguo am Flußufer Blumen pflückte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie schlug die Decke der Frau zurück. Eine Wolke von Gestank schlug ihr entgegen. An der Decke klebte etwas Schwarzes, das wie Kot oder getrocknetes Blut aussah. Tante Vier kratzte mit den Fingernägeln daran. Es war schon hart. In den Falten der Decke versteckten sich viele Läuse. Sie fing einige und steckte sie sich in den Mund. Sie kaute und kaute. Dabei verzog sich ihr Gesicht, und ihre Tränen flossen, denn sie mußte daran denken, wie Onkel Vier einmal Läuse gefangen hatte.
    Im Hof brannte die Sonne. Onkel Vier saß auf dem Boden, den Oberkörper an die Mauer gelehnt. Seine wattierte Baumwolljacke lag auf seinen Knien. Er suchte sie nach Läusen ab, die er in eine angeschlagene Schüssel mit klarem Wasser warf. In der Schüssel schwamm schon eine Schicht Läuse. Tante Vier sagte: »Mein Alter, such tüchtig. Wenn die Schüssel voll ist, kannst du sie in Öl braten und zum Wein essen.«
    Damals war Jinjü noch klein. Sie lehnte sich an Onkel Vier und fragte: »Vater, warum hast du soviel Läuse?«
    »Arme Leute haben Läuse, Reiche haben Krätze«, sagte Onkel Vier und warf eine besonders große ins Wasser. Jinjü rührte mit einem Grashalm in der Schüssel und tauchte die Läuse unter. Eine kahle alte Henne trippelte an den Schüsselrand und beobachtete mit schiefem Kopf die Läuse.
    Jinjü sagte: »Papa, das Huhn will die Läuse fressen.«
    Onkel Vier scheuchte die Henne weg. »Das könnte dir so passen, Läuse fressen. Sie sind nicht leicht zu fangen.«
    Jinjü sagte: »Laß die Henne fressen, dann legt sie mehr Eier.«
    Onkel Vier erklärte: »Ich muß sie sammeln, Herr Wang im Westdorf will tausend Stück von mir haben.«
    »Was macht er mit den Läusen?« fragte Jinjü.
    »Medizin mixen.«
    »Kann man aus Läusen Medizin machen?«
    »Es gibt zehntausend Dinge unter dem Himmel, die alle eine medizinische Wirkung haben.«
    »Wie viele hast du schon gefangen?«
    »Achthundertsiebenundvierzig Stück.«
    »Kann ich dir fangen helfen?«
    »Nein. Herr Wang hat gesagt, die Läuse dürfen nicht von Frauenhänden berührt werden. Wenn eine Frau sie anfaßt, haben sie keine medizinische Wirkung mehr.«
    Jinjü zog ihre Hand sofort zurück.
    »Eine Laus hat auch kein leichtes Leben«, sagte Onkel Vier.
    »Kennst du die Geschichte, wie sich zwei Läuse auf der Straße treffen, eine Stadtlaus und eine Landlaus? Die Stadtlaus fragt: Schwester Landlaus, wohin des Weges? Die Landlaus sagt: Ich gehe in die Stadt, und du? Die Stadtlaus sagt: Ich gehe aufs Land. – Was willst du dort? – Ich suche etwas zu essen. – Den Weg kannst du dir sparen. Ich bin schon halb verhungert und wollte mir in der Stadt ein Auskommen suchen. Die Stadtlaus fragt die Landlaus, warum es ihr so schlecht geht. Die Landlaus sagt, alles was sie auf dem Land haben, ist eine abgetragene wattierte Jacke, die sie jeden Tag dreimal durchsuchen. Wenn sie mich finden, werden sie mich mit Stöcken schlagen oder mit den Zähnen beißen. Unsereins wird entweder totgeschlagen oder totgebissen. Daß ich mit dem Leben davongekommen bin, ist ein wahres Wunder. Als die Stadtlaus das hört, seufzt sie: Ich hätte gedacht, auf dem Land wäre es besser als in der Stadt, deshalb wollte ich dorthin. Ich hätte nie geglaubt, daß es dort noch schlimmer ist. Die Landlaus fragt: Wie ist es denn in der Stadt? Dort muß es doch besser sein als auf dem Land? Die Stadtlaus sagt: In der Stadt tragen die Leute Samt und Seide, die jeden Tag

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