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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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fünfmal gewechselt und in drei Tagen zweimal gewaschen werden. Vom Essen ganz zu schweigen: nicht mal ein Stück Fleisch bekommt man zu Gesicht. Wenn man nicht mit dem Bügeleisen verbrannt wird, wird man in kochendem Wasser gesotten. Daß ich mit dem Leben davongekommen bin, ist auch ein wahres Wunder. Die beiden Läuse umarmen sich und weinen. Sie überlegen hin und her, finden aber keinen Ausweg, deshalb suchen sie sich einen Brunnen, in den sie gemeinsam hineinspringen, um ihrem Leben ein Ende zu setzen.«
    Jinjü fing an zu lachen und sagte: »Papa, das hast du erfunden.«
    Jinjüs Lachen klang noch in Tante Viers Ohren. Sie schniefte und zerbiß eine Laus. Die Erinnerung an die glücklichen Tage von früher machte sie traurig. Sie hörte mit dem Läusefangen auf, stand von der Pritsche auf und ging barfuß zum vergitterten Fenster, das so hoch angebracht war, daß es erst über ihrer Stirn begann. Sie kehrte zurück, stellte sich auf die Pritsche und konnte so durch das Fenster nach draußen blicken. Sie sah einen Stacheldrahtzaun und dahinter ein Gemüsefeld, auf dem Auberginen, Bohnen und Gurken wuchsen. Die Bohnenranken wurden schon gelb, während die Auberginen gerade in kräftigem Purpurrot zu blühen begannen. Zwei weiße Schmetterlinge flatterten über das Gemüsebeet. Mal huschten sie zwischen den Bohnenstangen hindurch, mal schwebten sie über den Auberginenblüten.
    Tante Vier setzte sich, streckte ihre Hand unter die Decke und suchte nach Läusen.
    »Alter, du mußt aufstehen!« Sie streckte ihren Fuß aus, um Onkel Vier zu wecken.
4
    Die Papageien im Hause Gao Zhilengs schrien zum viertenmal, als Tante Vier ihn mit dem Fuß anstieß.
    »Alter, steh auf. Die Papageien haben schon viermal geschrien.«
    Onkel Vier setzte sich auf, legte sich eine gefütterte Jacke um, füllte die Pfeife mit Tabak, brannte sie an, sog den Rauch ein und hörte die alptraumhaft schrillen Schreie der Papageien. »Geh auf den Hof«, sagte Onkel Vier, »und sieh nach den Sternen. Auf die Papageien kann man sich nicht verlassen. Das sind verspielte Vögel, die kein Zeitgefühl haben wie ein Hahn.«
    »Alle sagen, daß Papageien sehr klug sind.« Tante Viers Augen glänzten geheimnisvoll in der Dunkelheit. »Hast du sie mal gesehen, mit ihren grünen Federn, gelben Federn, roten Federn – ganz bunt sind sie. Ihre Schnäbel sind hakenförmig gebogen, und sie stecken sie gern ins Gefieder. Ihre Augen sind hell wie Kristall. Man sagt, daß diese Vögel etwas Dämonisches haben und daß Gao Zhilengs Reichtum übernatürlicher Herkunft ist. Ich traue ihm nicht über den Weg.«
    Onkel Vier gab keine Antwort. Er sog an seiner Pfeife, bis sie rot glühte. Das Kreischen der Papageien, das die dunkle Nacht herantrug, war mal lauter, mal leiser. Tante Vier stellte sich vor, wie die bunten Vögel um sie herumhüpften und sie mit schrägen Blicken beobachteten.
    Sie zog die graue Decke hoch und breitete sie über ihre Beine. Ihr war ein wenig ängstlich zumute, und sie hoffte, daß ihre Zellengenossin bald zurückkommen würde. Draußen rief die Wache wieder eine Nummer, und jemand ging mit hallenden Schritten über den Korridor.
    Als sie auf den Hof trat, fror Tante Vier. Der geschmeidige Körper einer Katze huschte über die Mauer und verschwand. Tante Vier zitterte und zog den Hals ein. Dann ließ sie den Blick nach oben schweifen. Am Himmel glänzten die Sterne. Die Milchstraße floß von Südost nach Nordwest. Innerhalb der Milchstraße schienen die Sterne dichter zu stehen als letztes Jahr. Sie suchte die drei in einer Reihe stehenden Sterne und fand sie im Südosten. Ein gelber Halbmond hob gerade am östlichen Himmelsrand den Kopf. Es war erst Mitternacht. Sie ging in den neu erbauten Kuhstall und warf der erst im Frühling gekauften Kuh im Dunkeln etwas Heu zu. Die Kuh lag auf dem Boden und kaute. Ihre Augen leuchteten grün. Als sie das Rascheln des Heus in ihrer Krippe hörte, erhob sie sich mit vorwärts drängendem Kopf, und ihre Hörner stießen gegen die Stirn von Tante Vier. »Verdammtes Vieh«, schimpfte sie, sich die Stirn reibend, »willst du mich umbringen?«
    Die Kuh fraß geräuschvoll das Heu. Tante Vier trat hinter die Krippe, strich dem Tier über den Bauch und dachte: Noch drei Monate, dann wird sie ein Kalb zur Welt bringen.
    »Wie spät ist es?« fragte Onkel Vier.
    »Erst Mitternacht. Mach noch mal die Augen zu. Ich habe der Kuh was gegeben.«
    »Ich bin nicht müde«, sagte Onkel Vier. »Also kann ich

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