Die Knoblauchrevolte
wie teure Seide. Tränen traten ihr in die Augen, und sie sah Tränen auch in den Augen des Fohlens.
Das Kind bäumte sich wieder auf. Mit halbgeöffneten Augen sagte es: »Mama, ich will immer noch rauskommen und mich umschauen. Ich habe einen runden Feuerball gesehen, der sich bewegt.«
»Mein Kind, das war die Sonne.«
»Ich will die Sonne anschauen.«
»Mein Kind, die Sonne kann man nicht anschauen, sie ist ein Feuerklumpen, der deiner Mutter Haut und Fleisch verbrennt.«
»Ich kann ein Feld sehen, auf dem Blumen stehen, und ich rieche ihren Duft.«
»Mein Kind, das sind giftige Blumen. Ihr Duft ist ein Pesthauch, der deine Mutter umbringt.«
»Mama, ich will rauskommen und den Kopf des roten Fohlens streicheln.«
Sie hob die Hand und versetzte dem dattelbraunen Fohlen einen Klaps. Es zog den Kopf vom Fenster zurück und rannte davon.
»Mein Kind, es gibt kein rotes Fohlen. Das war nur ein Schatten.«
Das Kind schloß fest die Augen und bewegte sich nicht mehr.
Sie holte einen Strick aus der Zimmerecke, warf ihn über einen Balken und verknotete das untere Ende zu einer Schlinge. Dann holte sie einen Hocker und stellte sich darauf. Sie nahm die Schlinge in die Hand. Das Seil war so grob, daß es sie in die Finger stach. Sie zögerte und überlegte sich, den Strick einzuölen. In diesem Augenblick hörte sie das dattelbraune Fohlen draußen vor dem Fenster wiehern. Um ihr Kind davor zu bewahren, wieder aufzuwachen, legte sie rasch den Kopf in die Schlinge und trat den Hocker weg. Das dattelbraune Fohlen schob den Kopf durch das Fenster. Sie wollte die Hand ausstrecken, um noch einmal die glatte, kühle Stirn des Fohlens zu berühren, aber sie konnte den Arm nicht mehr heben.
Elftes Kapitel
Im Kreis Paradies gab es in alter Zeit
die tapfersten Helden weit und breit.
Doch heute muß man die Memmen verachten,
die ihren faulenden Knoblauch betrachten
und nichts als Gejammer zustande brachten.
Aus einem Lied, das Zhang Kou sang, um die Knoblauchbauern
zum Sturm auf die Kreisverwaltung zu ermutigen
1
Als Gao Ma von der Mauer fiel, knallten zwei Schüsse. Rauchwölkchen stiegen auf, und es regnete Lehmsplitter. Er landete in einem Schweinekoben, dessen Mist hoch aufspritzte. Zwei erschrockene Schweine liefen grunzend im Kreis herum. Ohne zu überlegen, kroch Gao Ma in den Schweinestall. Ein Brummen über seinem Kopf und schmerzhafte Nadelstiche in Stirn und Wangen ließen ihn zurückfahren. Unter dem trockenen Strohdach des Schweinestalls klebte ein schüsselgroßes Wespennest, an das er mit dem Kopf gestoßen war. Hunderte von aufgestörten Wespen schwirrten wie eine rotierende gelbe Wolke umher. Gao Ma warf sich erschrocken zu Boden und wagte nicht, den Kopf zu heben. Da fiel ihm ein, daß die Polizisten jederzeit auch hier nach ihm suchen könnten. Er hielt die Arme schützend über den Kopf, tastete sich nach draußen, überkletterte eine halbhohe Mauer und suchte hinter einem Strohhaufen Deckung. Er wandte sich zur Hofmitte und wollte gerade zum Tor hinaus, als er sich am Arm gepackt fühlte. Er fuhr zurück und blickte in ein sauberes, weißes Gesicht, das, wie er sofort erkannte, dem Dorfschullehrer Zhu gehörte. Während der Kulturrevolution hatten ihm die Roten Garden das Becken gebrochen. Seitdem konnte er nur noch verkrümmt gehen. Sein Brillengestell war mit Klebeband repariert.
Gao Ma warf sich wie ein Schauspieler in einem historischen Drama vor ihm auf die Knie und rief: »Herr Lehrer, rettet mich. Die Polizei will mich wegen der Knoblauchstengelgeschichte verhaften.«
Lehrer Zhu nahm ihn an der Hand und führte ihn in eine dunkle Kammer, die mit allen möglichen Dingen vollgestopft war. An der Wand stand ein großer Krug, in dem Süßkartoffelblätter zu Schweinefutter vergoren wurden.
»Steig hinein«, sagte Lehrer Zhu.
Ohne auf den Gestank des Schweinefutters zu achten, schwang Gao Ma das Bein über den Rand und stieg in den Krug. Als er sich hinhockte, stieg die Futtermasse innen bis fast zum Rand des Kruges hoch. Der Schaum knisterte. Der dünne Brei reichte Gao Ma bis zum Hals, aber der Lehrer drückte auf seinen Kopf und bedeutete ihm, noch tiefer hineinzurutschen. Er faltete sich zusammen, bis ihm der Brei über den Mund reichte. Der Lehrer sagte: »Du darfst keinen Laut von dir geben. Dann wird es gutgehen.« Er legte Gao Ma ein Stück Kürbisschale auf den Kopf und schob einen kaputten Topfdeckel über die Krugöffnung, so daß nur noch ein Spalt offenblieb.
Im Hof erklang
Weitere Kostenlose Bücher