Die Knoblauchrevolte
aus wie vor Zorn glühende Blumen. Ihm war nicht danach, diesen Anblick zu bewundern. Er hatte nur Augen für den Brunnen.
Als er im jetzt rotgelben Flußbett ein paar braune Erdhaufen ausmachen konnte, lief er wankend darauf zu.
Wasser, Wasser. Er kniete neben dem Wasser und streckte wie ein durstiges Maultier den Kopf nach unten. Sobald seine Lippen das Wasser berührten, saugte er gierig. Eine Minute lang schwelgte er im Genuß des durch Mund und Kehle in den Magen rinnenden Brunnenwassers. Dieser Genuß war zu überwältigend. Seine Magenwände verkrampften sich. Er hörte das Gluckern, mit dem das Wasser in seine ausgetrockneten Organe schoß. Hastig trank er noch eine Minute, dann hob er das Gesicht und atmete zehn Sekunden bewußt. Er senkte erneut den Kopf und nahm jetzt erst den Geschmack und die Temperatur des Wassers wahr. Es war brackig, faulig und warm. Er tauchte den Kopf ganz in den Brunnen und stand dann langsam auf. Das Wasser floß ihm über die Wangen, den Hals, Schultern, Rücken und Bauch. Die giftigen Einstiche der Narbenbringer-Raupen nahmen das Wasser auf, die Haut quoll auf und das Gift breitete sich aus. Gao Ma konnte vor Schmerz kaum stehen.
»Mein Gott!« stöhnte er erschöpft. Er beugte sich vor, um das Wasser genauer zu betrachten. Die Mauern des Brunnens waren schon verwittert, auf dem Wasser trieb frischgrünes Moos, und dazwischen tummelten sich Schwärme von sojabohnengroßen Kaulquappen. Drei faustgroße Tigerhautfrösche hockten am Brunnenrand und bewegten rhythmisch die weißen Unterkiefer. Sechs grüne Augen starrten Gao Ma an. Er sprang in die Höhe und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Er spürte Hunderte von Kaulquappen in seinem Magen und in seinen Därmen zappeln. Ein Schwall Wasser quoll ihm aus dem Mund. Er ertrug den Anblick des Brunnens nicht mehr, drehte sich um und ging schwankend in den Wald zurück.
Die Sonne war schon untergegangen, aber der Himmel war noch nicht ganz dunkel. Zwischen den Bäumen lag Dunst. Wilde Seidenraupen hoben ihre seltsam geformten, metallisch glänzenden Köpfe und bissen mechanisch in die wie Blechplättchen wirkenden Maulbeerblätter. Ihr vielstimmiges Kaugeräusch ging ihm durch Mark und Bein. Grüner Raupenkot rieselte wie Schrotkugeln auf seine Beine. Er lehnte sich an einen Maulbeerbaum und starrte auf die Akazienblüten, die im dünnen Dunst, der zwischen den Bäumen lag, wie kleine Wellen anmutig hin und her wogten. In der Abenddämmerung wurde ihr Duft noch schwerer. Hellgelber Blütenstaub schwebte in der Luft.
Später stieg der Mond auf. Ein paar gelbe Sterne standen weit verstreut am blauen Himmelszelt. Große Tautropfen fielen. Mit Raupenkot vermischt, wirkten sie wie Exkremente der Sterne. Gao Ma hatte sich hingesetzt. Ab und zu drängte ihn etwas aufzuspringen. Aber sobald er die Beine anzog, hatte sich der Impuls verflüchtigt. Manchmal wollte er sein Handgelenk von der Stahlfessel befreien, aber auch dieser Entschluß verschwand, sobald er den Arm rührte.
Der Flügelschlag von Nachtvögeln teilte den Himmel. Gao Ma bildete sich ein, eine leuchtende Spur zu sehen, die sie beim Überfliegen der Maulbeerwipfel hinterließen. Aber als er genauer hinsah, konnte er nichts erkennen und war sich nicht einmal mehr sicher, ob wirklich Vögel vorbeigeflogen waren.
In der zweiten Hälfte der Nacht spürte er die Kälte. In seinem Bauch gluckerte es, als ob er starke Blähungen hätte, aber er konnte keinen einzigen Wind entweichen lassen.
Zwischen den Bäumen erschien Jinjü. Ein kleines rotes Bündel am Arm, den dicken Bauch vorgestreckt, näherte sie sich zögernd und behutsam. Fünf Schritte vor ihm blieb sie stehen. Sie hielt eine Jutepflanze in der Hand, die zitterte, weil sie mit den Fingernägeln über den Stengel kratzte.
»Jinjü«, sagte Gao Ma, »komm her.« Jinjüs Gesicht änderte seine Farbe. Erst war es rot, dann wurde es gelb. Das Gelb ging in Grün über, und aus dem Grün wurde Blau. Zuletzt blieb ein erschreckendes Aschgrau übrig.
»Lieber Gao Ma«, sagte sie, »ich muß gehen. Ich bin gekommen, um dir Lebewohl zu sagen.« Er begriff, daß ihnen ein großes Unheil drohte, und wollte zu ihr. Aber seine Beine waren mit einem Strick an den Baum gefesselt, er kam nicht von der Stelle, er konnte nur mit aller Kraft die Hände ausstrecken und sah, daß seine Arme länger und länger wurden. Gleich würde er ihr Gesicht berühren, seine Fingerspitzen spürten schon die Kälte ihrer Haut, aber genau
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