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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Mandschurei. Wenn du dort Geld verdienst, kannst du Jinjü und das Kind nachkommen lassen.
    Vögel huschten durch die Maulbeer- und Akazienbäume und belebten den Wald. Gao Ma hatte Hunger. Er suchte sich eine junge, zwei Meter hohe Akazie aus, die in voller Blüte stand, sprang mit aller Kraft in die Höhe, packte den Baum und zog daran. Unter dem vollen Gewicht seines Körpers bog sich der Baum, quietschte und brach. Ein Streifen Rinde platzte über die ganze Länge des Stammes ab und hinterließ eine lange weiße Wunde, in die frischer gelber Saft sickerte. Gao Ma riß die voll aufgeblühten, halb erblühten und noch knospenden Akazienblüten ab und stopfte sie sich hastig in den Mund. Die erste Handvoll schluckte er fast unzerkaut. Später kaute er langsam und genüßlich. Die Akazienblüten schmeckten süß und aromatisch, die voll aufgeblühten ein wenig bitter, die Knospen leicht herb. Die halb aufgeblühten waren frisch und saftig, weder bitter noch herb. Deshalb aß er nur noch sie. Im Laufe des Vormittags brachte er es auf drei Bäume.
    In der warmen, schwülen Mittagszeit, als er sich schon an Akazienblüten satt gegessen hatte, machte er wieder eine Entdeckung. Als er mit der Nase einem süßsauren Geruch folgte, fand er in den Zweigen eines Maulbeerbaums viele hellgelbe, leuchtendrote und dunkelrote stachlige Bällchen. »Maulbeeren!« rief er erfreut.
    Genau wie bei den Akazien schlang er die Maulbeeren zunächst wahllos hinunter. Nach einer Weile begann er sie im Geschmack zu unterscheiden. Die hellgelben Maulbeeren waren hart, kaum süß, sehr sauer, und sie betäubten die Zunge. Die leuchtendroten Maulbeeren waren noch etwas hart, ziemlich süß und ein wenig sauer. Die dunkelroten Maulbeeren waren weich, sehr süß, fast überhaupt nicht sauer, und sie hinterließen einen duftigen Nachgeschmack. Auf der Suche nach den dunkelroten Maulbeeren lernte er bald, daß er einen Maulbeerbaum nur schütteln mußte, und die vollreifen dunkelroten Beeren fielen von selber herunter. Seine Finger waren bald purpurrot gefärbt, und er schloß daraus, daß auch seine Lippen diese Farbe angenommen haben mußten. Am Nachmittag entdeckte er, daß es auch weiße Maulbeeren gab. Die weißen Früchte waren größer, und ihr Weiß hatte einen Stich ins Grünliche, der sie wie Jade aussehen ließ. Sie schmeckten noch besser als die dunkelroten. Diese Früchte wuchsen auf einer neuen Art von Maulbeerbäumen. Ihre Borke war weiß, und ihre Blätter waren so groß wie Handteller und so dick wie Kupfermünzen.
    Gegen Abend bekam Gao Ma Bauchschmerzen und wälzte sich auf dem Sandboden hin und her. Als die Sterne herauskamen, hatte er eine halbe Stunde Durchfall, dann ließen die Schmerzen nach. Daß es eine halbe Stunde gedauert hatte, konnte er nur schätzen, denn seine Armbanduhr hatten ihm Jinjüs Brüder abgenommen.
4
    Komme, was da wolle, in dieser Nacht mußte er unbedingt zu Hause nach dem Rechten sehen. Obwohl er sich nur einen Tag versteckt hatte, tat ihm die Trennung von der Welt und ihren Menschen bereits sehr weh. Dabei war es noch gar keine richtige Trennung. Am Tage hatte er noch die Stimmen der Frauen gehört, die Maulbeerblätter pflückten, und er war auf den Sanddeich geklettert, um heimlich den Menschen zuzuschauen, die auf den Feldern arbeiteten. Der Südwind brachte den Geruch reifen Weizens mit. Wenn die Seidenraupen satt sind, wird der Weizen reif. Morgen schon könnte mit der Weizenernte begonnen werden. Das machte Gao Ma Sorgen. Er hatte zwei Morgen mit Weizen bepflanzt, der sehr gut gewachsen war. Seine Knoblauchstengel waren fast alle verfault, wenn jetzt auch noch der Weizen zugrunde ging, wovon sollten sie dann in der zweiten Jahreshälfte leben? Er kratzte sein struppiges Haar und hatte dabei die Vorstellung, daß es schon ergraut sein mußte und daß sich tiefe Falten in seine Stirn und um die Mundwinkel eingegraben hatten.
    Er war entschlossen, sich in der Nacht ins Dorf zu schleichen. Er glaubte nicht, daß die Polizisten es zwei Nächte hintereinander in seinem ärmlichen Haus aushielten. Als erstes würde er sich etwas zum Anziehen heraussuchen, vor allem ein Paar Schuhe. In einem zerfledderten Karton in einer Ecke lagen noch zwei fast neue Soldatenstiefel, die er aus der Rekrutenzeit herübergerettet hatte. Als Jinjüs Brüder sein Haus durchwühlten, waren ihnen diese Stiefel entgangen. In einer Mauerritze im Ostzimmer hatte er vierhundertsiebzig Yüan Bargeld versteckt, seine Einnahme vom

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