Die Knoblauchrevolte
in diesem Augenblick hörten seine Arme auf zu wachsen. »Jinjü«, rief er besorgt, »du darfst mich nicht verlassen. Wir haben noch nicht einen einzigen glücklichen Tag zusammen verbracht. Warte, bis ich den Knoblauch verkauft habe, dann heirate ich dich. Ich verspreche dir, du wirst dich nicht vom Wind schütteln, von der Sonne verbrennen, vom Regen nässen und vom Schnee durchfrösteln lassen müssen. Du sollst zu Hause bleiben, um das Kind zu pflegen und das Essen zu kochen, das ist alles.«
»Lieber Gao Ma, hör auf zu träumen. Du kannst den Knoblauch nicht verkaufen. Er ist verfault. Du hast gegen das Gesetz verstoßen und die Kreisverwaltung demoliert. Das Sicherheitsamt hat überall einen Steckbrief mit deinem Bild ausgehängt. Ich kann nur noch das Kind nehmen und gehen …«
Jinjü öffnete das kleine rote Bündel und nahm den Kassettenrecorder heraus: »Der gehört dir. Ich habe ihn meinem Bruder wieder abgenommen. Du wirst allein sein, wenn ich jetzt gehe, und wenn du dich einsam fühlst, dann höre ihn, um deine Sorgen zu vertreiben.« Sie drehte sich um und ging. Ihr rotes Kleid verwandelte sich in einen weißen Schatten.
»Jinjü!« rief er laut – und wurde von seiner eigenen Stimme geweckt.
Er starrte den weißen Halbmond an, der über den südöstlichen Himmelsrand kroch, im Herzen ein tiefes Gefühl des Verlustes. Je länger er über das eben Erlebte nachdachte, desto größer wurde seine Angst. Er hatte es schon mehrmals durchgerechnet: Der Tag ihrer Entbindung war entweder gestern oder heute.
Als er schließlich aufstand, erinnerte ihn das daran, wie er im letzten Jahr im Kreis Grünes Pferd zwischen dem Jutefeld und dem Paprikafeld wieder auf die Beine gekommen war. Damals war es in der Abenddämmerung gewesen. Als er sich aufrappelte, hatte er mehrere Mundvoll frisches Blut ausgespuckt. Jinjüs Brüder waren hartherzig, rücksichtslos, grausam und brutal. Sie hätten ihn beinahe zur Hölle geschickt. Ohne die lebensrettenden Pillen des Assistenten Yang und die Fürsorge der Nachbarin Yü wäre er heute nicht mehr am Leben. Am dritten Tag hatte Frau Yü die Forderung der Familie Fang überbracht. Wenn du zehntausend Yüan aufbringst, kannst du Jinjü heiraten. Erst das Geld und dann die Ware. Die übergroße Freude ließ ihn lautlos weinen. Frau Yü sagte: Die Familie Fang verkauft ihre Tochter wie ein Stück Vieh. Schwägerin Yü, erwiderte er, ich weine, weil ich glücklich bin. Das Geld bekomme ich zusammen. Ich werde Knoblauch pflanzen und die Stengel verkaufen. Spätestens in zwei Jahren kann ich Jinjü heiraten.
Knoblauchstengel! Diese unheilbringenden Knoblauchstengel! Er fühlte sich von den Bäumen eingeengt. Wohin er sich auch wandte, auf allen Seiten stieß er gegen Maulbeerbäume und Akazienstämme. Er irrte im Kreis durch den Wald. Plötzlich verschluckte eine schwarze Wolke den Mond. Rund um ihn standen Mauern. Von Dämonen aufgerichtete Mauern. Wenn ein Mann zehn Jahre stark bleibt, vertreibt er Dämonen und Teufel. Gao Ma, seitdem du Jinjü kennst, seitdem du ihre Hand gehalten hast, bist du vom Pech verfolgt.
3
Die halbe Nacht irrte Gao Ma durch den Maulbeer- und Akazienwald. Erst als die Morgendämmerung kam, entließ ihn die Dämonenwelt. Er war von oben bis unten durchgefroren. Nur in seinem Herzen fühlte er noch ein wenig Wärme. Die Schwellung seiner Augen hatte sich zurückgebildet. Das war beruhigend. Die rote Sonne ging auf und wärmte allmählich seine Haut. Darüber freute er sich. Sein Bauch gluckerte. Es gelang ihm, mehrmals hintereinander zu furzen: demnach funktionierte sein Darm wieder, und in seinen inneren Organen herrschte Ordnung. Er faßte neue Hoffnung. Nun da er wieder bei klarem Verstand war, unterdrückte er den Wunsch, sofort ins Dorf zu gehen, um nach Jinjü zu sehen. Vermutlich warteten die beiden Polizisten in seinem Haus mit der Pistole in der Hand darauf, daß er ihnen ins Netz ging. Nur ein Dummkopf würde sich am hellichten Tag ins Dorf trauen. Er beschloß, seinen Besuch auf die Nacht zu verschieben. Wenn Jinjü heute niederkäme, wäre immer noch ihre Mutter da, die dafür sorgte, daß nichts passierte. Wie schlecht sie auch sein mochte, sie blieb ihre Mutter.
Wie sollte es weitergehen? fragte er sich, nachdem er sich beruhigt hatte. Hier in der Gegend kannst du dich auf keinen Fall mehr blicken lassen, noch dazu mit der Stahlfessel an der Hand. Du wartest, bis es dunkel wird, um nach Jinjü zu sehen, dann fährst du in die
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