Die Knoblauchrevolte
sein Blut und Knochenmark aussaugen. Gao Yang wollte ihm einen Fußtritt geben, aber konnte das Bein nicht heben. Er wollte ihm einen Faustschlag versetzen, aber er konnte den Arm nicht bewegen. Später träumte er, daß er mit gefesselten Händen in einem leeren Raum der Produktionsbrigade eingeschlossen war, weil er die Leiche seiner Mutter begraben hatte, anstatt sie im Krematorium des Kreises verbrennen zu lassen. Der Kopf seiner Mutter war so glatt wie ein Kürbis, ihre Vorderzähne fehlten, ihr Mund war voll Blut. Zwei Nachbarn, die als Schlechte Elemente eingestuft waren, trugen ihm die Mutter ins Haus. Es war schon nach zehn Uhr abends. Er zündete die Petroleumlampe an und fragte die Schlechten Elemente, was passiert war. Sie standen stocksteif da und blickten ihn wortlos an. Nach einer Weile drehten sie sich um und gingen einer hinter dem anderen leise hinaus. Er legte die Mutter aufs Ofenbett und weinte. Sie öffnete die Augen und bewegte ihre Lippen, als ob sie etwas sagen wollte, aber dann sagte sie doch nichts, sondern drehte den Kopf zur Seite und starb. Er warf sich über seine Mutter und weinte laut.
Eine große Hand bedeckte seinen Mund. Er schüttelte den Kopf und spuckte. Die große Hand ließ ihn los.
»Kumpel, warum schreist du denn so?« fragte ein Mund unter zwei flackernden Irrlichtern.
Er wachte auf und wußte, wo er war.
Das Licht der Wachstube erleuchtete den Flur, wo ein Posten mit unruhigen Schritten auf und ab ging.
Gao Yang schluchzte: »Ich habe von meiner Mutter geträumt.«
Unter den Irrlichtern der Klang eines Lachens: »Von der Mutter träumen ist nicht so gut wie von der Frau träumen. Versuch, von deiner Frau zu träumen.«
Die Irrlichter erloschen. In der Zelle wurde es schwarz. Gao Yang konnte nicht schlafen. Er hörte den pustenden Atem des alten Gefangenen, die schmatzenden Lippen des jungen Häftlings und den schweren Atem des teuflischen Kerls mittleren Alters.
Wahrscheinlich hatten die Moskitos ihren Blutdurst schon gestillt und saßen auf der Wand, um auszuruhen. In der zweiten Hälfte der Nacht war ihr Summen nicht mehr zu hören. Gao Yang zog die Decke über sich. Sofort krabbelten unzählige kleine Tierchen über seine Haut. Die ganze Bettdecke schien in Bewegung geraten zu sein. Erschrocken stieß er die Decke zurück. Aber die Kälte setzte ihm so zu, daß er doch lieber die Decke wieder hochzog. Er hörte den Mann mittleren Alters in der Dunkelheit kichern.
Mutter hatte den Kopf zur Seite gedreht und war gestorben, ohne noch ein Wort zu sagen. Das war in der Zeit der unerträglichen Julihitze. Doch in der Nacht fiel ein starker Regen, das Wasser stand in großen Pfützen im Hof, die Frösche quakten in ihren Verstecken. Selbst als der Regen nachließ, tropfte es noch durch das Strohdach. Als es hell wurde, suchte Gao Yang eine alte Decke, in die er Mutter einwickelte. Er hob sie auf die Schulter, nahm einen Spaten in die Hand und schlich sich aus dem Dorf. Er traute sich nicht, sie auf dem Dorffriedhof zu beerdigen, denn dort wurden die armen Kleinbauern beigesetzt. Er hatte nicht das Geld, Mutter in das Krematorium in der Kreisstadt zu bringen, er wollte sie aber auch nicht in der Nähe der armen Kleinbauern begraben, damit sie nicht auch noch als Geist von den armen Kleinbauern heimgesucht wurde.
Er trug seine Mutter sehr weit, bis er an die Grenze zwischen den Kreisen Paradies und Grünes Pferd kam. Dort gab es ein herrenloses Ödland mit üppigem Pflanzenwuchs, in dem man kaum Spuren von Menschen sah. Als er mit seiner Mutter auf der Schulter durch den Glatten Bach mit seinen schnell dahinfließenden Wellen watete, reichte ihm das Wasser bis zur Brust. Es rüttelte so sehr an ihm, daß er schwankte und beinahe zu Fall gekommen wäre.
Am anderen Ufer setzte er Mutter ab. Ihr Kopf schaute aus der Decke heraus. Mund und Augen standen weit offen. Vereinzelte Regentropfen schlugen auf ihr glattgeschwollenes Gesicht und rollten langsam daran herunter. Auch ihre Füße ragten aus der Decke heraus. Unterwegs mußte sie einen ihrer kaputten Schuhe verloren haben. Ihr nackter Fuß war bläulich weiß und hatte die Form eines Ochsenhorns. Eine Menge Sand klebte daran. Gao Yang kniete nieder und heulte laut auf. Obwohl sein Herz sich anfühlte wie von einem Messer durchbohrt, trat ihm nicht eine einzige Träne in die Augen.
Er wanderte in der Wildnis umher und suchte einen hochgelegenen Platz. Dort schaufelte er das Grab. Vorsichtig stach er das wilde Gras
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