Die Knochen der Goetter
wichtiges Detail stößt. Oder wenn man darüber spricht. Manchmal ist es ein Wort, das die Flut herbeiruft, manchmal ist es nur die richtige Vorstellung.«
Unvermittelt stand sie auf und schnappte sich ein Feldbett. »Ist es okay für euch, wenn ich da drüben schlafe?« Sie ging auf einen kleinen Nebenraum zu. »Es ist nicht zu weit weg, aber man geht sich nicht so auf die Nerven.« Coralia zögerte und versuchte zu lächeln. »Ich meine, ich kann alleine einfach besser nachdenken.«
»Kein Problem«, sagte No.
»Dann gute Nacht, Frischlinge.«
Ohne die Antwort abzuwarten, verzog sich Coralia in den Nebenraum und schloss sofort die Tür hinter sich.
No sah ihr mit zusammengekniffenen Lippen nach.
»Wie weit darf man sich denn voneinander entfernen?«, fragte er dann die Bibliothekarin.
»Im Moment sicher eine Saallänge. Vielleicht auch zwei. Es hängt immer von der Größe der Flut ab«, antwortete die Magistra Bibliothecaria. »Mein Zimmer ist übrigens auch nicht weiter entfernt. Ich werde mich jetzt ebenfalls zurückziehen. Und kommt bitte nicht auf die Idee, hier aufräumen zu wollen. Das mache ich zusammen mit Minster.«
Rufus sah sich nach der Bisamratte um. Aber von ihr war keine Spur zu entdecken.
»Sie schläft irgendwo unter einem Regal«, erklärte die Meisterin, die Rufus’ suchenden Blick bemerkt hatte. Dann drehte sie sich um und ging in ihr Zimmer.
Rufus, Filine und No blieben in der Dunkelheit des Bibliothekssaals zurück. Im schwachen Schein der grün beschirmten Lampen ragten die Regale wie gewaltige Kulissen in die Höhe.
Rufus blickte an ihnen empor.
Die hohen Regale, Leitern und Bücher wirkten wie eine bizarre Landschaft, in der er sich klein und verloren fühlte. Und doch übte der Anblick zugleich eine verheißungsvolle Anziehungskraft auf ihn aus, als wäre in jedem Winkel und jeder Ecke ein neues Geheimnis verborgen, das es zu erforschen galt.
»Ich lese noch ein bisschen«, entschied Rufus.
»Okay«, antwortete No. »Tu, was du nicht lassen kannst. Ich für meinen Teil bin so müde, dass ich kaum die Augen offen halten kann.«
Auch Filine gähnte.
Rufus setzte sich an den Tisch und schlug sein Buch über Katzen auf, das sie auf dem Weg in die Bibliothek geholt hatten. Außerdem lagen einige Bände über das alte Ägypten vor ihm bereit. Hinter ihm deckten sich No und Filine auf den Feldbetten zu. Seite für Seite blätterte Rufus den dicken Band durch.
»Was suchst du da eigentlich?«, ertönte plötzlich Filines Stimme in der Dunkelheit.
»Katzen«, gab Rufus leise zurück.
»Aber welche genau?«, fragte Filine weiter.
Rufus zögerte. Dann gab er sich einen Ruck. »Nicht die goldenen«, sagte er. »Von denen gab es da so viele. Sie waren alle sehr schön. Aber da war noch eine. Eine ganz besondere.«
»Die von dem Jungen? Nauris Katze, die aus Wachs?«, flüsterte Filine.
Rufus drehte sich um.
»Ja, hast du sie auch gesehen?«
»Ja«, gab Filine zurück. »Sie war sehr anders. Nicht ägyptisch.«
Rufus nickte. »Sie sah aus wie eine Katze, wie eine richtige Katze. So lebendig.«
No grunzte. »Hey, Leute, ich dachte, wir wollen schlafen?«
»Ich kann nicht«, sagte Filine. »Ich muss die ganze Zeit an Nauri denken.«
»He«, rief Rufus plötzlich. »Hört mal zu. Hier steht was Interessantes. Solche Katzen, wie Nauri sie gemacht hat, gab es damals eigentlich nicht. Ich meine als Kunstwerke. Die Priester schrieben den Künstlern nämlich vor, wie ein Kunstwerk auszusehen hatte. Und wisst ihr was? Ihr habt doch die Zeichnungen an der Wand in Suleimans Werkstatt gesehen? Das waren Vorbilder für die Werke. Das war so üblich. Das könnte auch die darunter angebrachten Siegel erklären. Das bedeutet nämlich, dass die Zeichnungen von der Priesterschaft genehmigt waren. Die hat bestimmt ein Priester dorthin malen lassen, und Suleiman musste sich nach ihnen richten.«
»Wie?«, sagte No. »Ich dachte immer, Künstler machen nur das, was ihnen so in den Kopf kommt. Künstler sind doch freie Menschen.«
Filine lachte ungläubig. »Nein, so war es nicht. Und nicht nur in Ägypten. Doch insbesondere dort war die Kunst fast nie frei. Aber dann kam Echnaton. Er war der Pharao, der Achet-Aton oder eben Amarna errichten ließ. Das bedeutet der Spruch, den Meister Spitznagel vorhin aufgesagt hat, der Spruch auf der Stele. Wenn wir nicht so schnell an ihr vorbeigelaufen wären, hätte ich das erkennen können. Es ist wirklich schrecklich. Ich übersehe noch so viel.«
Sie
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