Die Knochen der Goetter
errichten. Ich baue Achet-Aton für meinen Vater Aton auf der Seite des Sonnenaufgangs von Achet-Aton, auf einer Stelle, welche er sich selbst bereitet hat und die für ihn durch ein Gebirge umrahmt ist.«
Der Meister schwieg. Dann sagte er: »So lautet eine der Inschriften. Die Stelen von Amarna oder Achet-Aton. Stelen nennt man übrigens hohe, frei stehende Pfeiler. Sie haben meistens als Grabmal oder als Grenzstein gedient.« Er schwieg einen Augenblick. »Und ihr habt sie gesehen. Das war eine wichtige Zeit. Und ihr wisst nicht, ob Echnaton noch lebte?«
Die Lehrlinge schüttelten die Köpfe.
»Dann sollten wir weitere Hilfe in Anspruch nehmen«, forderte Meister Spitznagel. »Seid ihr damit einverstanden?«
»Dürfen wir das denn entscheiden?«, fragte No.
»Natürlich. Diejenigen, die die Flut auslösen, haben das Recht, ihre Begleiter, die nicht von selbst zur Flut gestoßen sind, auszuwählen.«
»Ich bin dafür«, sagte Rufus sofort.
»Ich auch«, fiel ihm Coralia ins Wort.
Aber Rufus sah nur No und Filine an. Die beiden nickten.
»Ja«, sagte Rufus. »Wir sind alle einverstanden.«
Der Kochmeister ergriff eine große Glocke, die er auf einer Wandablage neben der Tür stehen hatte, hob sie hoch über seinen Kopf und begann sie zu läuten. Dazu rief er: »Meisterinnen und Meister der Akademie! Wer wach ist und wer Anteil nehmen will an einer Flut, der möge sich zum Glockenklang begeben, den ich aussende, Meister Spitznagel. Vor mir stehen drei Frischlinge und ein älterer Lehrling und versichern glaubhaft, sie hätten die Stelen von Amarna besucht!«
Es war, als hätte Meister Spitznagel in ein Horn gestoßen. Innerhalb von wenigen Minuten summte und rumorte es in den Zimmern und Gängen rundherum, Türen wurden aufgestoßen, Schritte näherten sich, und auf den Fluren waren kurze Wortwechsel zu hören.
Als Erster erreichte Direktor Saurini die kleine Gruppe. Sein Haar stand nach allen Seiten ab und er trug nur einen gestreiften Morgenmantel über einem zitronengelben Pyjama. Aufgeregt sah er die Anwesenden an.
»Ist sie schon hier gewesen?«
»Wer?« Verblüfft schaute No den Direktor an.
»Die Flut. War sie bereits an dieser Stelle hier?«
»Nein!«
Spitznagel schüttelte den Kopf.
Der Direktor blickte hinter sich in den dunklen Gang.
»Wer hat sie ausgelöst?«
Rufus sah zu Coralia, aber die schwieg und warf ihm nur einen finsteren Blick zu.
»Einer von uns vieren«, sagte Rufus schließlich. »Wir wissen nicht, wer es genau war.«
»Aber es könnte mein Fragment sein«, stieß Coralia plötzlich hervor. »Material und Form stimmen. Die Flut kommt aus Ägypten.«
»Aus Amarna«, fiel ihr Filinie ins Wort. »Das hat uns eine Stele bewiesen. Wir haben dort eine Einbalsamierungsstätte gesehen, aus der ein nubischer Junge zu seinem Vater gesandt wurde. Offenbar ist er ein Sklave. Aber er ist auch ein famoser Goldschmied, der wunderbare Katzenskulpturen herstellt.«
Saurini sah sie wohlwollend an. »Ägypten? Ja, das wäre natürlich eine Möglichkeit.«
Hinter ihm erreichten Meister Morley, Meisterin Iggle, Meister Hardy und Meisterin Abel die Gruppe.
»Ist Hilfe vonnöten?«, rief Meister Hardy im Näherkommen. Dann fiel sein Blick auf Coralia. »Ah, Coralia, du bist dabei. Das ist gut. Du bist erfahren und sehr verantwortungsvoll. Benötigt ihr Waffenkundler oder Spezialisten in Kampf- oder sportlichen Disziplinen?« Der riesenhafte Meister sah fragend in die Runde.
»Nein«, sagte Coralia. »Es sieht nicht danach aus.«
»Gut, dann überlasse ich euch das Feld und gehe wieder schlafen.« Meister Hardy winkte fröhlich und wollte schon wieder gehen. »Oder – kommen Sie, Meisterin Abel! Wenn wir schon wach sind, können wir auch gleich eine Runde neuer Trigonwürfe üben. Ich habe da vor dem Zubettgehen etwas über eine höchst wirkungsvolle Täuschung bei einem zweihändigen Wurf gelesen.«
Meisterin Abel brach in Gelächter aus. »Das soll mir recht sein, Meister Hardy. Dann bekomme ich wenigstens wieder die nötige Bettschwere …«
Die junge Meisterin drehte sich um und folgte ihm. Dagegen blieben Meister Morley und Meisterin Iggle stehen.
»Um was geht es?«, fragte die Bibliothekarin. »Amarna, habe ich das richtig gehört?«
»Ja«, antwortete Meister Spitznagel.
»Coralia kann doch Ägyptisch«, meinte Meisterin Iggle.
»Filine auch«, warf No ein.
»Ach ja?« Erstaunt sah die Bibliothekarin Filine an.
Das Mädchen nickte stumm.
»Ich würde zu gerne
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