Die Knochen der Goetter
ungeduldig. »Eben etwas, das die Menschen nicht einordnen können. Und das bei ihnen dann später auch meist schnell wieder in Vergessenheit gerät.«
»Ja«, nickte die Meisterin. »Ich kann mir nur vorstellen, dass einer von euch die erforderliche Voraussetzung erfüllt haben muss.«
»Was für eine Voraussetzung? Sind es besondere Kenntnisse? Sprachkenntnisse oder so?« Filine sah No und Rufus nicht an, während sie die Frage stellte.
»Nein«, antwortete Iggle. »Es muss eine Verbindung zwischen dem Akademiker und dem Flutwesen geben, die in direkter Abstammung durch die Jahrtausende führt.«
»Das soll es geben?«, fragte Rufus unbehaglich.
Meisterin Iggle nickte erneut. »Es ist sehr selten, wie ich bereits sagte.« Fragend sah sie die Lehrlinge an. »Wisst ihr etwas darüber?«
Für einen Moment zögerte Filine. Dann schüttelte sie schnell den Kopf, und auch Rufus und No schwiegen.
Meisterin Iggle schloss kurz die Augen. Leise sagte sie: »Niemand zwingt euch, etwas dazu zu sagen. Ihr müsst nur wissen, solche Verbindungen von Akademiemitgliedern in die älteste Vergangenheit können sehr hilfreich sein. Je weiter sich eine Familienlinie in die Vergangenheit erstreckt und lebendig ist, desto leichter fällt es oft in einer Flut, Erkenntnisse zu gewinnen. Die lebendige Verbindung scheint Fluten sehr zu begünstigen. Und zwar in allen Epochen, die zwischen der ersten und der letzten Generation einer solchen Linie liegen.
Aber man muss sich dabei auch bewusst sein, dass dies eine besondere Verantwortung bedeutet. Es gibt immer die Gefahr, durch den direkten Kontakt in die Geschichte einzugreifen. Das könnte zu Zeitparadoxa führen. Wir wissen darüber noch nicht sehr viel. Aber es ist nicht nur ein weites, sondern auch ein wirklich gefährliches Feld.«
»Ich glaube nicht, dass so etwas droht«, mischte sich in diesem Moment Coralia ein. Sie trug das schlichte Gewand einer mittelalterlichen Burgherrin aus blauem Samt und beugte sich jetzt weit ins Zimmer.
»Es ist nämlich noch etwas passiert. Die Flut war parallel zu der Warnung, die die drei Frischlinge erhalten haben, bei mir. Deswegen habe ich auch nicht alles, was eben passiert ist, mitbekommen.«
Herausfordernd sah sie die anderen an. Dann tippte sie sich überrascht an die Schläfe.
»Ah, natürlich! Wahrscheinlich wollte sie nur mit mir Kontakt aufnehmen und ihr wart ihr im Weg. Ich sage euch doch, es ist meine Geschichte.« Coralia blies zufrieden die Backen auf. »Jedenfalls konnte ich Folgendes beobachten. Die Pharaonin war bei Suleiman.«
»Das hast du gesehen?«, fragte Filine betreten.
»Das sage ich doch. Vielleicht habt ihr euch ja in etwas verrannt, was nicht so wichtig war.«
Coralia lächelte Rufus, Filine und No süßlich an und fuhr dann mit ihrem Bericht fort: »Also, sie war bei Suleiman und hat bei ihm ihre Grabbeigaben in Auftrag gegeben. Und zwar mehrere goldene Katzen.«
Meisterin Iggle nickte.
»Das passt zu der Vorgeschichte.«
»Ja«, rief No. »Aber warum zeigt sich dieser Teil der Flut jetzt nur noch Coralia?«
»Oh, das hat sie mir nicht verraten«, sagte Coralia spöttisch. »Mit mir spricht die Pharaonin ja auch nicht. Das tut sie offenbar nur mit euch. Aber wie ich vermute, hat sie herausgefunden, dass Suleiman ein außergewöhnlicher Künstler ist. Schließlich hat er in den letzten Jahren im Auftrag von Mahu viele Grabbeigaben für die Priester und wohlhabenden Kaufleute hergestellt.«
»Woher weißt du das?«, fragte Rufus, denn bei ihrer letzten Begegnung im Thronsaal war Coralia nicht dabei gewesen.
»Er hat es natürlich der Pharaonin erzählt.«
»Und wie geht es jetzt weiter?«, wollte Filine wissen.
Coralia zuckte die Schultern. »Die Flut wird kommen und dann folgt ihr ihr, an meiner Seite.«
Inzwischen war der Morgen angebrochen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück, das ihnen diesmal zwei Lehrlinge brachten, die sie nicht kannten, halfen Rufus, Filine und No Meisterin Iggle beim Einsortieren der Bücher. Lediglich Coralia schrieb an ihrer Hausarbeit für Meister Spitznagel über Sauerkraut mit Austern.
Ansonsten verlief der Vormittag ereignislos.
Seit der letzten Flutwelle wirkte Filine unruhig. Sie kaute immer wieder an ihrem rechten Daumen, eine Angewohnheit, die Rufus zuvor noch nicht an ihr bemerkt hatte.
Er stellte fest, dass er selbst sich auch nicht besonders gut konzentrieren konnte und bereits zum vierten Mal mit dem gleichen Buch im falschen Gang gelandet war. Plötzlich
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