Die Knochenfrau
Kollegin mit dem Schlüssel an, auf Lukas wirkte sie überhaupt nicht genervt.
„Machte doch 'nen entspannten Eindruck”, sagte Lukas, als die Andere wieder zwischen den Regalen verschwunden war. Er gab der Kassiererin die Scheine. Das Ganze kostete 56,75.
„Die tut nur so”, erwiderte die Kassiererin und suchte das Rückgeld zusammen. Sie grinste Lukas an, drückte ihm die Münzen in die Hand und Lukas grinste zurück. Kurz hatte er das tote Kind vergessen.
Der Einkaufswagen hatte einen leichten Rechtsdrang, eines der Räder stand schief. Lukas schob ihn über den Parkplatz, räumte alles in den Kofferraum, brachte den Wagen zurück, setzte sich in sein Auto, zündete sich eine Zigarette an und wählte die Nummer des Krankenhauses. Er ließ es klingeln, bis jemand ran ging.
„Universitätsklinikum Freiburg.”
„Hallo, mein Name ist Lukas Kramer. Ich wollte mich nach der Frau Schneider erkundigen. Die liegt bei Ihnen auf der Intensivstation.”
„Wie ist der Vorname?”
„Wilma, Wilma Schneider.”
„Moment, ich schau mal.”
Lukas befürchtete Warteschleifenmusik. Aber die Frau legte nur den Hörer weg und tippte etwas in den Computer ein. Das Geklapper hörte sich an, als hätte sie lange Fingernägel. Er stellte sich eine junge Frau mit Strapsen, Krankenschwestertracht und langen, roten Fingernägeln vor. Dazu mächtig Arsch und Titten.
„Herr Kramer, ich finde hier keine Wilma Schneider”, sagte die Fingernagelfrau und riss Lukas aus seinen Gedanken. Ein wenig schämte er sich für seine Fantasie. Gerade hatte er vom Tod eines Jungen erfahren.
„Sie ist auf jeden Fall bei Ihnen, ich habe sie gestern noch besucht.”
„Auf welcher Station ist sie denn?”
„Intensivstation.”
„Ja, aber auf welcher Station genau.”
„Ähm … das habe ich gerade nicht parat.”
„Warten Sie, ich schau noch mal.”
Lukas wartete, wieder hörte er das Geklapper ihrer Fingernägel auf der Tastatur. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass etwas mit Frau Schneider war. Vielleicht hatte sich ihr Zustand verschlechtert … vielleicht war sie tot. Ach Blödsinn! Das konnte nicht sein. So schwach hatte sie nicht gewirkt.
„Herr Kramer?”
„Ja, immer noch da.”
„Also die Frau Schneider ist nicht mehr bei uns. Die wurde heute morgen in ein ans Klinikum angeschlossenes Pflegeheim verlegt. Soll ich Ihnen die Nummer geben?”
Lukas atmete auf und lehnte sich im Sitz zurück. Frau Schneider lebte. Es ging ihr sogar besser ... immerhin war sie aus der Intensivstation raus, weg von diesen ganzen Apparaten.
„Ja, das wäre nett ... ich such schnell was zu schreiben.”
Im Handschuhfach fand Lukas Stift und Papier. Er notierte sich die Nummer des Pflegeheims.
„Danke, schönen Tag noch.”
„Gern geschehen, Wiederhören.”
Lukas speicherte die gerade notierte Nummer in seinem Handy unter „Pflegeheim”. Zufällig fiel sein Blick auf einen Namen: Sven Polmeyer. Ein Typ, mit dem er früher ab und zu einen trinken war. Und dieser Typ hatte einen Bruder, der Chemiker war … oder Chemielaborant oder irgendetwas in der Art. Lukas beschloss, Sven anzurufen. Vielleicht konnte er dessen Bruder eine Probe von dem schwarzen Zeug schicken, das er vorhin im Tiefkühlfach verstaut hatte. Aber zuerst das Pflegeheim, zuerst Frau Schneider.
„Ja, hallo?”
„Hallo, mein Name ist Lukas Kramer. Mir wurde gesagt, dass die Frau Wilma Schneider zu Ihnen verlegt wurde.”
„Moment, ich schau nach.”
Wieder wurde der Hörer beiseite gelegt. Wieder Geklapper auf einer Tastatur. Diesmal hörte es sich nicht nach langen Fingernägeln an.
„Soooooo”, sagte die Frau. Sie zog das Wort über vier Sekunden. „Die Frau Schneider ist heute zu uns gekommen. Ich verbinde Sie mal mit dem Wohnbereich.”
„Danke”, sagte Lukas. Er sagte es ins Nichts, die Frau war schon weg. Nach zwanzig Sekunden Warteschleifenmusik – Eine Instrumentalversion von „Let it be” – meldete sich ein Mann.
„Hallo, hier Pfleger Lukas, Wohnbereich drei.”
„Hallo, hier auch Lukas”, antwortete Lukas. „Ist die Frau Schneider bei Ihnen … Wilma Schneider?”
„Ja, die ist hier. Sind Sie ein Verwandter?”
„Ich bin ein Freund. Die Frau Schneider hat mich gebeten, auf ihr Haus aufzupassen. Könnte ich sie sprechen?”
Eine kurze Pause trat ein, der Pfleger schien zu überlegen.
„Das ist ein bisschen schwierig, die Frau Schneider ist ja gelähmt.”
„Das weiß ich”, antwortete Lukas. „Aber Sie könnten ihr ja den
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