Die Knochenleserin
und in eine Falle locken lassen?«
»Weil Sie besessen sind?«
»Das wird Joe oder Montalvo nicht reichen.«
»Wegen Laura Ann?«
Ja, die Sorge um das Mädchen würde sicherlich ausreichen, um sie alle dazu zu bringen, dass sie sich auf etwas einließen, was sich nachher als Schnitzeljagd entpuppen könnte. »Das reicht nicht. Nicht nachdem Sie uns alle beinahe in die ewigen Jagdgründe befördert hätten. Geben Sie mir einen Beweis, dass der zweite Akt nicht bloß zu einem dritten führen wird, falls es Ihnen nicht gelingt, uns zu töten.«
Er schwieg einen Augenblick lang. »Das ist ein Zweiakter, Eve. Ich muss Ihnen keine Beweise liefern, aber Sie werden feststellen, dass diese Insel gut gedüngt ist. Sie ist der perfekte Ort, um eine Leiche zu entsorgen. Ich könnte mir sogar überlegen, Ihre Leiche ebenfalls dort verschwinden zu lassen.«
»Lassen Sie mich mit Laura Ann reden.«
»Selbstverständlich, ich habe es schließlich versprochen. Komm her, du kleines Miststück.«
Einige Sekunden verstrichen, bevor die flüsternde Stimme eines Kindes zu vernehmen war. »Hallo.«
Eve atmete erleichtert auf. Wenigstens hatte Kistle in Bezug auf Laura Ann die Wahrheit gesagt. »Hör zu, Kleines, ich heiße Eve. Wir werden kommen und dich von dem Mann wegholen. Aber der Mann ist sehr böse, und du darfst ihn nicht wütend machen. Am besten du redest überhaupt nicht mit ihm.«
»Aber das gefällt ihm auch nicht. Kannst du meiner Mama sagen, dass es mir leid tut? Sie hat mir gesagt, ich soll nicht bei einem Fremden ins Auto steigen, aber er hat mir gesagt, dass er der Freund von Daddy ist. Ich wollte meinen Daddy sehen. Und ich dachte, er wollte mich auch sehen.«
»Ja, das sage ich ihr.« Eve traten Tränen in die Augen. »Sie wird es ganz bestimmt verstehen. Ich soll dir etwas von ihr ausrichten. Sie hat gesagt, dass sie dich sehr lieb hat und ganz stolz auf dich ist. Ihr werdet euch bald wiedersehen.«
»Das reicht.« Kistle war wieder am Telefon. »Sobald Sie die Sümpfe erreicht haben, lasse ich Sie noch mal mit ihr reden. Die Uhr tickt, Eve.« Er legte auf.
Sie schaltete das Handy aus.
»Was hat er gesagt?«, fragte Joe.
»Du hattest recht. Es ist eine Insel in den Okefenokee-Sümpfen. Wir sollen uns das Schwarze Brett in der Touristeninformation ansehen. Laura Ann ist noch am Leben.« Sie schwang die Füße aus dem Bett und stand auf. »Ruf Montalvo an und sag ihm Bescheid. Wir werden alle Informationen brauchen, die Miguel über die Sümpfe zusammengetragen hat.«
»Und wenn das wieder eine Sackgasse ist?«
»Danach habe ich ihn auch gefragt«, entgegnete sie, als sie zum Badezimmer ging. »Er behauptet, das sei der letzte Akt und die Insel sei gut gedüngt.«
»Und du glaubst diesem Scheißkerl?«
»Ja. Diesmal glaube ich ihm. Ich denke, dass diese Insel sein Friedhof ist.« Sie schloss die Badezimmertür hinter sich. Sie musste sich duschen, anziehen und die Zeit zum Nachdenken nutzen. Eins war klar, sie durften nicht wieder blind in Kistles Falle laufen. Es musste sich etwas ändern.
Großer Gott, sie hatte die ganze Zeit gewusst, worin diese Änderung bestehen musste. Sie hatte sich nur geweigert, es sich einzugestehen. Aber jetzt konnte sie es nicht länger ignorieren.
Die Uhr tickte.
Es war ein freundliches kleines Haus in Morningside mit einer breiten Veranda, in deren Bögen Ampeln mit Farnkraut hingen.
»Das ist doch verrückt, Eve«, sagte Joe gereizt. »Ich weiß, dass du verzweifelt bist, aber das wird zu nichts Gutem führen.«
»Stimmt, ich bin völlig verzweifelt, und ich will eine Absicherung.« Sie stieg aus dem SUV. »Im Chattahoochee Forest wärst du beinahe ums Leben gekommen. Diesmal werde ich nicht blind in die Sümpfe rennen.« Sie nickte Montalvo zu, der hinter ihnen hielt. Dann drehte sie sich um und betrat den Gehweg zur Eingangstür. Es war kurz vor sechs Uhr am Morgen, und das Haus lag noch im Dunkeln. Vermutlich schliefen sie noch. Vielleicht sollte sie lieber noch ein bisschen warten, bevor Die Uhr tickt.
Sie drückte auf die Klingel.
Keine Reaktion.
Sie klingelte noch einmal.
Ein kleiner, hagerer Mann öffnete die Tür. Seine Haare waren zerzaust, und er trug einen roten Morgenmantel. »Ja, bitte?«
»Ich muss Megan Blair sprechen. Ich bin Eve Duncan. Sind Sie ihr Onkel Phillip?«
Er nickte. »Megan schläft noch. Können Sie später wiederkommen?«
»Nein, ich muss jetzt mit ihr sprechen. Bitte wecken Sie sie.«
Er erstarrte. »Ich glaube nicht, dass
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