Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
lief.
Der Wächter hatte vor Schreck seine Lanze fallen lassen und sprang zur Seite, um sich vor den Hufen des Tieres zu schützen. Nur noch einen oder zwei Sprünge war das weit offen stehende zweiflügelige Holztor entfernt, als plötzlich die eine der beiden Torhälften vor Louis zuschlug. Die Stute wurde noch ängstlicher, doch Louis trieb sie weiter an. Der zweite Wächter mühte sich mit dem schweren Holz des Tors ab, das sich schon bedrohlich bewegte, als Louis endlich an ihm vorbeischoss. Fast wäre das Pferd noch gestürzt, als es von der zufallenden zweiten Torhälfte hart am Hinterteil getroffen wurde.
Louis stand in den Steigbügeln und beugte sich tief über den Hals der Stute. Zu seinem Glück verlief die Straße durcheine Wiese, sodass er auf dieser den Gaul weit ausgreifen lassen konnte, bis er endlich einen schützenden Wald erreichte. Noch waren keine Verfolger hinter ihm, das zufallende Tor hatte ihn gerettet. Bis die Wachen Armbrüste und Bogen hervorgeholt und in Position gebracht hatten, war er bereits außer Schussweite. Er betete, dass die Verfolger im Labyrinth der Waldwege seine Spur verloren.
*
Es war Louis' zweite Flucht aus Böhmen, und wieder hatte er Glück. Er trug einen Beutel mit Silber an seinem Gürtel, und zwei Münzen überredeten einen Bauern, ihn eine Nacht und einen Tag zu verstecken. Sein blutbesudeltes Obergewand musste einem einfachen Kittel weichen, den der Bauer ihm gern zum Tausch anbot. Bereits in der darauffolgenden Nacht gelang es Louis, Südböhmen zu erreichen, und einen Tag später, die Grenze nach Österreich zu überschreiten.
Er ritt ohne Unterlass, rastete nur, um dem Pferd die nötigen Pausen zu gönnen, es zu tränken und weiden zu lassen. Er ging den Menschen aus dem Weg und sprach mit niemandem, bis er sich jenseits der Donau unter andere Reisende mischte. Seine Flucht gab ihm Zeit genug, ausgiebig über den schrecklichen Morgen in Olmütz nachzudenken.
Bero war unter den Mördern gewesen, das war ihm rasch klar geworden, und er hatte ihm nur zur Flucht verholfen, um sich selbst bequem aus dem Staub machen zu können. Und er war so dumm gewesen, diesem Kerl Vertrauen entgegenzubringen! Doch warum dieses Attentat auf den jungen Wenzel? Der einzige Grund konnte gewesen sein, dass Bero Rudolf oder Albrecht die böhmische Krone sichernwollte. Mit Wenzel war das Geschlecht der Premisliden in der männlichen Linie ausgestorben, und es oblag dem deutschen König, das Reichslehen neu zu vergeben. Hatte Rudolf seinen Schergen Restwangen als Meuchler ausgesandt oder hatte gar Albrecht den Königsmord in Auftrag gegeben? Hatte Bero den schändlichen Plan gefasst, um sich die königliche Gunst zu sichern? Die ganze Wahrheit würde wohl kaum jemals ans Tageslicht kommen, wusste Louis.
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Die Nachricht vom Tod des jungen Königs verbreitete sich rasch, und noch ehe der Monat zu Ende ging, wurden Rudolf von seinem Vater die Reichslehen Böhmen und Polen übergeben. Wenzels wahrer Mörder wurde nie entlarvt. Die von Louis vorgelegten Urkunden wurden als Fälschungen bezeichnet, die dazu dienen sollten, das böhmische Heer in scheinbarer Überlegenheit dem Feind entgegentreten und in das sichere Verderben ziehen zu lassen. Der betagte kurzsichtige Priester, der die Mörder in das Haus des Dekans eingelassen hatte, stammte aus Polen und wurde der Mittäterschaft verdächtigt und der kirchlichen Gerichtsbarkeit in Prag überstellt. Doch auch unter Folter konnte er nichts über die Mörder und ihre Pläne aussagen, und das kaum noch atmende Bündel, das einst ein geistlicher Herr gewesen war, starb am darauffolgenden Tag schon nach wenigen Schlägen des Rades. Die drei fremden Mönche waren in dem allgemeinen Tumult untergetaucht, jedoch erst nachdem sie den Namen Montardier und das Wort Königsmörder viele Male durch die Gassen gebrüllt hatten.
NÜRNBERG Sommer 1306
Franziska war müde. Sie hatte nur wenige Stunden geschlafen, doch schon lange hatte sie sich nicht mehr so glücklich und ausgefüllt gefühlt wie an diesem Sonntagmorgen. Ob irgendjemand von der Hochzeitsgesellschaft etwas von ihrer Liebelei mitbekommen hatte? Die Erinnerung an die Nächte mit Ludwig vor so langer Zeit verblassten vor den Gedanken an die überwältigende Lust, die sie mit Walter erlebt hatte. Sie freute sich schon darauf, ihn beim Kirchgang wiederzusehen. Was mochte er überhaupt für sie empfinden? Waren es wahre Gefühle oder nur vorübergehende Leidenschaft?
Ihre Müdigkeit
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