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Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Siegel
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war wie weggeblasen, als sie vor ihrem Schrank stand und überlegte, welches ihrer Kleider ihm wohl gefallen würde und obendrein einfach zu öffnen und zu schließen war. Sie entschied sich für ein nagelneues und gerade noch schickliches Kirchkleid, das sie zum Glück in dem Haus aufbewahrte, das Meynhard nahe der Manufaktur für sie hatte errichten lassen. Die Witwenhaube hatte sie längst gegen ein fröhlicheres Spitzenhäubchen getauscht, und als ihr Adoptivsohn, der noch sichtlich gezeichnet von dem rauschenden Fest war, sie zur Kapelle begleitete, fühlte sie sich fast selbst wie eine Braut.
    Chalil, Marie und sie standen im hinteren Teil des schlichten, kleinen Gotteshauses und betrachteten die Schar der engsten Gäste Meynhards, die, wie es sich schickte, noch den sonntäglichen Kirchgang absolvierten, bevor sie ihre Heimreise antraten. Meynhard und seine strahlende Gemahlin saßen an der Seite des Kirchenschiffes, in ihrer nächsten Nähe die leiblichen Verwandten, die an der Hochzeit teilgenommen hatten. So sehr Franziska sich wieder und wiederreckte und umsah, Walter war nicht auszumachen. Marie und Chalil entging ihr aufgeregtes Suchen nicht. Marie sah ihren Mann mit hochgezogener Braue an, Chalil seufzte leise und zuckte kaum sichtbar mit den Schultern.
    Schließlich war die Messe gelesen, und die Gesellschaft trat in den Hof, wo die Bediensteten noch die Reste der gestrigen Feier wegfegten.
    Vergeblich versuchte Chalil ein Gespräch mit Franziska zu beginnen, doch diese antwortete nur geistesabwesend. Schließlich war Chalil dies leid, und er fragte Meynhard, wo denn sein werter Bruder Walter abgeblieben sei. Er hätte zu gern noch mit ihm geplaudert und ihm Fragen über das schöne Tirol gestellt.
    »Ja, der Gute! Hat gestern den Männertrunk ausgelassen und bereits kurz nach den Damen das Fest verlassen, um sich zur Ruhe zu begeben. Er wollte unbedingt noch im ersten Morgengrauen abreisen, um so schnell wie möglich nach Tirol zu gelangen. Nur drei Tage hat er für den Ritt veranschlagt, ist das nicht ein verrückter Bursche? Aber ich traue ihm das zu, diesem Teufelskerl! Der Sport hat ihn von jeher fasziniert und gefesselt.«
    »Aber warum schon heute? Hätte er nicht auch morgen abreisen können?«, fragte Chalil weiter.
    Meynhard lachte auf. »Ach, ich vergaß: Sein junges Weib ist vor ganz kurzer Zeit zum zweiten Male niedergekommen. Wieder ein Sohn! Und welcher Mann will nicht bei seinen Söhnen sein? Ich bin überzeugt, es werden so prächtige Burschen wie er!«
    Franziska glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Sie sah zu Meynhard, der nicht aufhörte, von seinem Bruder zu schwärmen und begann, Abenteuer aus dessen Jugend zu erzählen.Ihr Rücken versteifte sich, und sie spürte, wie die Schamesröte ihr ins Gesicht stieg. Tränen stiegen in ihr auf und liefen in zwei kleinen Rinnsalen über ihre Wangen. Eine kalte eiserne Klammer legte sich um ihr Herz und schnitt ihr den Atem ab.
    Sie hatte sich zur Buhlin eines verheirateten Mannes gemacht. Sie hatte gehofft, die Liebe hätte ihr vielleicht eine zweite Chance gegeben, doch in Wahrheit hatte sie ihren Körper und ihre Leidenschaft einem Mann dargeboten, der einer anderen gehörte und nur diesen kurzen Augenblick der Verzückung von ihr gewollt hatte. Sie war so dumm gewesen, auf ihn hereinzufallen, doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie in der vergangenen Nacht nicht danach gefragt, ob er frei oder gebunden war, nur ihrer Verliebtheit und ihrer Lust hatte sie gehorcht. War sie nun eine Ehebrecherin? Eine Hetäre? Ein schlampiges Frauenzimmer?
    Ohne sich um die anderen zu scheren, verließ sie die kleine Gruppe und lief zu ihrem Häuschen. Marie wollte ihr folgen, doch Chalil hielt sie zurück.
    »Zeig ihr nicht, dass du es weißt«, flüsterte er.
    »Du meinst …?«
    »Ja«, sagte er leise. Sein Diener hatte sie mit Walter in dessen Kammer schleichen sehen und ihm diskret berichtet.
    *
    Noch am Sonntagnachmittag war Franziska nach Nürnberg zurückgefahren und war am Montagmorgen die Erste in der Werkstatt gewesen. In den folgenden Wochen war sie sehr schweigsam. Sie sprach nur wenig, vertiefte sich ganz in ihre Arbeit und verbrachte ihre gesamte freie Zeit mit ihrer Tochter. Isaak hatte der Schneiderwerkstatt zwei kunstfertige Kürschner vermittelt, mit deren Hilfe Franziska Winterkleider und Mäntel mit raffiniertem Pelzbesatz und Pelzmäntel entwerfen konnte. Sie bezogen die Felle weiterhin vor allem aus dem Osten Europas und

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