Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Jungen zu seinem Schutz auf der Reise zu bewaffnen, hatte er jedenfalls sehr schnell diese teure Klinge zur Hand gehabt und sie ihm schweigend zugesteckt. Irgendetwas hatte Karl immer davon abgehalten, sich an den Dolch zu gewöhnen und ihn mit sich zu führen, er hatte das selbst nie so recht verstanden. Wenn er auf seinen Reisen das Kurzschwert Zacharias' anlegte, hatte er nie irgendwelche Hemmungen verspürt.
Doch jetzt kannte er den Grund seiner Ablehnung. Sein Blick verlor die Wut und den Zorn, die er eben noch verspürt hatte und wurde stattdessen traurig, unsagbar traurig. Er ließ die Hand mit der Waffe sinken und sah den Edelmann wie durch einen Schleier an. Catherine schien auf einmal neben dem Verbrecher zu stehen. Stumm, anklagend und soschön, wie sie im Leben gewesen war. Ludwig schien hingegen nicht zu begreifen, dachte, Bero hielt die Waffe für die zu reparierende aus der Burg, von der er Karl erzählt hatte.
Bero war irritiert und geschwächt, doch aufgegeben hatte er den Kampf noch nicht. Fieberhaft überlegte er, wie er unbeschadet aus dem Stofflager herauskommen könne. Was würde Karl als Nächstes tun? Er war sich gewiss, dass der Junge kein Mörder war und nicht einen Wehrlosen erstechen würde. Wenn er wenigstens einen der beiden Brüder unschädlich machen könnte, könnte er sich und seine Freunde rehabilitieren. Der verbleibende Bruder hätte keinen Zeugen für irgendwelche Behauptungen, und der Vogt würde eher zwei adeligen Edelknappen aus bester heimischer Familie als einem elternlosen dahergelaufenen Bengel oder einem Geldverleiher fragwürdiger Abstammung glauben. Die beiden Mädchen würden vor Gericht kaum befragt werden, das war nicht üblich. Langsam hob er das Antlitz und sah an Ludwig vorbei auf den reglosen Karl, der ihn wie einen Geist anstarrte. Vorsichtig erhob er sich. Als er fest auf beiden Beinen stand und sein Blick über Ludwigs Schulter schweifte, sah er plötzlich seine Chance. Die eiserne Schere war lang und spitz. Sie hing direkt hinter Ludwig griffbereit an der Wand. Wie beiläufig hob Bero die Hand an die Stirn, als würde er eine Wunde betasten. Niemand schöpfte Verdacht. Mit einer blitzschnellen Bewegung schoss seine Rechte plötzlich vor, an Ludwigs Wange vorbei und griff die Schere. Noch im Zurückziehen der Hand wollte er ihre Spitze Ludwig in den Nacken rammen und sich anschließend den unbeweglich verharrenden Mamelucken vornehmen. Doch schon als Beros Hand an ihm vorbeifuhr, hatte Ludwig sich geistesgegenwärtig gedreht, sah die Klinge nunaus dem Augenwinkel auf sich zufliegen und reagierte. Er riss den Kopf zur Seite und das Eisen streifte kaum seine Haut. Bero konnte seine eigene Hand, die nun auf ihn selbst zuschoss, so schnell nicht mehr bremsen und versuchte, ihr auszuweichen. In diesem Augenblick fuhr Ludwigs Linke nach oben. Er wollte das Kinn des Gegenübers treffen, doch Beros Kopf war gebeugt und sein Arm dem Schlag im Wege. Ludwigs Faust stieß gegen Beros Unterarm, den Arm, der die Waffe hielt und riss ihn empor. Die Klingen der Schere fuhren schräg über Beros Gesicht. Blut schoss aus Wange, Auge und Stirn. Ein lauter Schrei entfuhr dem Verletzten, mehr aus Schreck als aus Schmerz, als ihm auch schon die Beine versagten und er abermals zu Boden ging.
Franziska kauerte auf dem harten Lehm und starrte auf den blutenden Mann. Karl blickte erschreckt auf Ludwig, der keuchend vor seinem Opfer stand. Er wurde kreidebleich, als ihm bewusst wurde, welche Tat sein Bruder gerade begangen hatte. Er hatte seinen eigenen Herrn verwundet, ein schreckliches Vergehen, unabhängig davon, wie gerechtfertigt sein Handeln gewesen sein mochte.
Der wehrlose Haymo starrte entsetzt auf den blutenden Freund. Todesangst stand in seinen Augen. Er war überzeugt, die Brüder würden sie beide meucheln und ihre Leichen fortschaffen, sodass ihre Familien nie erfuhren, was geschehen war. Bero und er hätten so gehandelt, wären sie an ihrer Stelle gewesen. Doch nichts dergleichen schien zu geschehen. Der Einarmige stieß ihn nur beiseite und zog seine Schwester unter dem Leichnam Einhards hervor. Das Mädchen zitterte vor Angst, schien aber unverletzt zu sein. So gut es ging schloss der Mameluck ihr das zerfetzte Kleid vor der Brust. Als er sah, dass Marie ihre Nacktheit nichtvollständig verbergen konnte, schlüpfte er aus seinem eigenen Wams und hängte es dem Mädchen um.
Kurz dachte Haymo an seine beiden eigenen Schwestern, die noch jung und unschuldig waren, und
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