Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
für einen kurzen Moment war er sogar der Ansicht, er und Bero hätten die schlimmste Strafe durch die Brüder verdient. Wie hatte er sich so weit gehen lassen können, zum Mitläufer bei einem derartigen Verbrechen zu werden? Er ekelte sich plötzlich vor dem Gedanken, sie hätten die beiden Jungfrauen, und gewiss waren sie das noch, brutal geschändet. Als Jüngster wäre er ohnehin erst nach Bero oder Einhard an der Reihe gewesen, hätte seine Lust im frischen Blut des Mädchens und im Samen des Vorgängers stillen müssen. Ihm wurde übel, und der Blutverlust schwächte ihn zusätzlich. Er würde sich nicht gegen die beiden Männer erwehren können. Mit dieser Gewissheit wartete er auf seine Hinrichtung.
Doch man ließ ihn am Leben, weder an ihn noch an Bero wurde Hand angelegt. Karl half Maria auf die Beine und stützte sie mit der gesunden Hand. Das Messer hatte er zu Boden fallen lassen. Ludwig behielt die beiden Verletzten im Auge, während er versuchte, sich um Franziska zu kümmern. Trotz des Schreckens schien Franziska die Erste zu sein, die die Tragweite der Situation erfasste.
»Holt Hermann her, schnell!«, sagte sie entschlossen zu den Brüdern. »Und den Wundarzt, der sitzt bestimmt noch bei der Feier. Bloß niemand anderen, beeilt euch.«
Karl sah von ihr zu den beiden Verletzten und nickte. Schnell lief er über den Hof zur Straße und zu Hermanns Haus. Die Gäste feierten ausgelassen und lautstark, Bier und Wein zeigten ihre Wirkung. »Tut so, als müsstet ihr auf denAbtritt und kommt mit. Es ist dringend! Bitte fragt nicht!«, raunte er dem Rosshändler zu, der ihn verwundert ansah. Hermann hatte den Jungen noch nie so besorgt gesehen und erhob sich. Ein paar Gäste sahen verwundert auf, doch er hielt sich die Hand vor den Hosenstall und deutete ihre Haltung beim Pinkeln an.
»Nun noch den Wundarzt, dort sitzt er!«, zischte Karl ihm ins Ohr und zog den schweren Mann auf einen betagten Herrn zu, der ein wenig abseits der lärmenden Gäste saß und an seinen Ohren herumfummelte. Der Alte war beinahe taub und konnte sich nur noch schwer an Unterhaltungen beteiligen. Anstandslos begleitete er die beiden, als Hermann ihn darum bat.
Ein Zucken ging durch den gebeugten Körper des Medikus, als er die zerzausten Frauen, den Toten und die beiden Verletzten sah. Erschreckt legte er die Hand vor den Mund, als er den liegenden und stark im Gesicht blutenden Mann erkannte. Er rief nach Wasser und Tüchern, und Franziska, obwohl noch immer geschwächt, setzte sich in Bewegung, beides aus dem Wohnhaus zu holen.
»Ludwig muss fliehen. Noch heute Nacht«, sagte Karl und staunte selbst, wie nüchtern seine Stimme dabei klang. »Ich gebe ihm Fathma und komme später nach.« Ludwig wollte protestieren, doch Hermann unterbrach ihn. Hier in Budweis war das Leben des Knappen keinen Pfifferling mehr wert. Seinen Herrn zu verletzen wurde mit dem Tode bestraft. Vor Gericht würden die Aussagen der beiden Jungen gegen die von zwei Adeligen stehen und die Familie des Toten würde ihr Übriges dazu tun. Wenn er hingegen aus der Schusslinie wäre, würden sich die Gemüter früher oder später vielleicht beruhigen. Irgendwann würde der Junge zurückkehren können.
»Du reitest noch heute Nacht, aber auf einem meiner Pferde. Nimm die Falbstute. Karla ist ebenso ausdauernd wie Fathma und auch aus meiner Zucht, erst vorgestern habe ich sie von ihrem Besitzer zurückgekauft. Vor morgen wird euer Kampf nicht bekannt werden, dafür sorgt schon der Arzt hier. Und du«, er wies mit dem Kinn auf Karl, »siehst ebenfalls zu, dass du wegkommst. Auch du bist hier nicht mehr sicher.« Karl sah betrübt zu Maria, doch ihm leuchtete ein, dass er sie nicht mitnehmen konnte, zumindest jetzt noch nicht, solange er und Ludwig nicht wussten, wohin sie gehen würden. Fort aus Böhmen, das war unumgänglich. Maria schien zu begreifen. Tränen rannen über ihre Wangen. Sie wusste noch nichts davon, dass sie bei Hermann und Nele bleiben sollte.
»Passt gut auf Maria auf«, bat Karl den Rosshändler.
Die beiden Brüder liefen zu Hermanns Hof und holten die Pferde. Fathma stand wie meistens hinter den Gebäuden auf der Weide und die Falbstute Karla war auf einer der Koppeln. Schnell und unbemerkt von den Hochzeitsgästen sattelten sie die Tiere. Als Erstes ritten sie zu Zacharias, der sich ihre Geschichte entsetzt anhörte. Er verlor nicht viele Worte. Aus einer Truhe gab er Karl zwei gut gefüllte Beutel und einen Packen Pergamente.
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