Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
gegen jedes handwerkliche Selbstverständnis. Obendrein verhöhnte und schmähte er die anderen Meister durch dieses Vorgehen. Die Einrichtung der Meisterschaft in allen Handwerken hatte schließlich ihre guten Gründe und hatte sich über Jahrhunderte bewährt. Walram wurde sogar an seinen Zunfteid erinnert, den er bei seiner Eintragung in die Meisterrolle abgelegt hatte. Man stellte ihn schließlich vor die Wahl, entweder diese Geschäfte selbst zu tätigen oder die Frauen zu entlassen.
Als am selben Abend das Licht schwand und Nele die Näharbeiten einstellen und die Werkstatt aufräumen ließ, bat Walram sie in seine Stube.
»Die Zunft hat lange beide Augen zugedrückt und Franziska gewähren lassen. Die anderen Meister waren stets der Ansicht, dass sich die neue Mode ohnehin bald wieder legen würde und meine Werkstatt wieder in die Bedeutungslosigkeit absänke, nicht zuletzt, weil ich nicht mehr der Jüngste bin und meine Augen und Hände immer weniger zum Schneiderhandwerk taugen. Doch jetzt mussten sie zugeben, dass sie sich geirrt hatten, dank Franziskas Fleiß und unbeschreiblichen Talents. Die Mode verbreitet sich über die Grenzen des Landes hinaus und der Neid der anderen wird offensichtlich. Längst hat sich auch unser neuer Wohlstand herumgesprochen, obwohl ich weiß, dass weder Karl noch Isaak indiskret waren, was unsere Finanzen angeht, aber die Preise unserer Stücke sprechen alleine schon eine deutliche Sprache, besonders wenn man die Menge der Aufträge betrachtet, die wir erhalten und ausführen. Man will, dass entweder ich selbst wieder als Auftragnehmer tätig bin, dann würde man Euch gestatten, im Hintergrund zu werken, was man ja nicht verbieten kann, oder dass ich Euch entlasse. Beides geschieht in dem Wissen, dass ich weder die Kunden so überzeugend um den Finger wickeln noch diese erlesenen Stücke, für die die Werkstatt heute berühmt ist, anfertigen kann. Außerdem bin ich bereits zu alt für den Beruf, das wissen die Zunftherren ebenfalls. Ich kann mich also nur in Ehren zurückziehen, die Werkstatt schließen und euch beiden anderswo viel Glück wünschen. Ich habe keine andere Idee, wie es weitergehen könnte.«
Nele sah den Freund lange an. »Franziska und ich könnten in eine andere Stadt ziehen, vielleicht sogar in ein anderesLand. Ich habe Isaak um Auskunft über Franziskas Vermögen ersucht. Es reicht aus, um an jedem anderen Ort der Welt ein neues Geschäft aufzubauen, einschließlich einer großzügigen Zahlung an die jeweilige Zunft und des Kaufes eines ordentlichen Hauses. Wir könnten einen Neubeginn wagen.«
Walram seufzte und nickte. »Dann wird es so wohl das Beste sein.« Der alte Meister schien in sich zusammenzusinken, und über sein Gesicht legte sich ein Schatten. Trotzdem lächelte er sie tapfer an.
Nele atmete hörbar durch. »Es gäbe allerdings noch eine andere Lösung«, sagte sie schließlich.
*
»Hole einen Krug Wein und bring Franziska zu uns«, wies Walram Trudbert an, der im Hof herumlungerte. Wenig später erschien Franziska, und ihr Blick wanderte verwundert zwischen ihrer aufgeregten Mutter und dem schüchtern, aber verschmitzt lächelnden Walram hin und her.
»Wenn du willst, kannst du schon in Kürze Meisterin sein«, eröffnete ihre Mutter ihr.
»Wie soll das gehen? Die Zunft …«
Nele zögerte ein wenig.
»Die Zunft muss sich an ihre Regeln halten und kann sich nicht einfach nach Gutdünken darüber hinwegsetzen«, begann sie schließlich. »Aus diesem Grund denkt man in der Meistergilde nicht anders als bisher. Aber eine wichtige Zunftregel ist: Eine Meisterfrau ist einem Meister in der Berufsausübung gleichgestellt.«
»Ach, eine Meisterfrau? Soll ich heiraten? Und wen, bitte schön?«
Wieder zögerte Nele. Blieb ihrem Kind denn nichts erspart? Schließlich erklärte sie: »Es gibt da eine ganz einfache Lösung: Ein ehrbarer Witwer, dessen Geschäft eine Meisterin fehlt …« Walram hüstelte diskret im Hintergrund. »… würde eine sofortige Einheirat in sein gut gehendes Geschäft bieten.« Franziska war einen kleinen Moment sprachlos, dann entfuhr ihr ein kleiner Schrei, als sie sah, dass Nele das Gesagte tatsächlich ernst meinte.
»Mutter! Wie konntest du nur so etwas aushecken? Oder war es deine Idee?« Sie sah Walram scharf an, der sofort entrüstet den Kopf schüttelte.
»Hör doch erst einmal zu, mein Kind! Die Zunft wird es schon sehr bald und notfalls mit gerichtlicher Hilfe unterbinden, dass du als scheinbare
Weitere Kostenlose Bücher