Die Knopfmacherin
grausiger Anblick, das kannst du mir glauben! Sei froh, dass Vater dich weggeschickt hat.«
Alina wirkte alles andere als erleichtert, denn Melisandes Schilderung hatte ihre Neugierde geweckt. »Was sind das denn für Männer?«
»Einer heißt Fritz Jensen, der andere Roland Fries. Sie behaupten, Schuhmachergesellen zu sein, die einen Freund besuchen wollten.«
»Der Blonde sieht recht hübsch aus, nicht wahr?«
Melisandes Wangen fingen an zu glühen. »Er ist nicht hässlich, stimmt.«
Alina grinste, als hätte sie ihre Schwester bei etwas Verbotenem ertappt. »Kann es sein, dass du ihn magst?«
»Wie soll ich ihn mögen, wenn ich ihn gar nicht kenne?«, gab Melisande harsch zurück. »Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob diese Burschen wirklich sind, was sie vorgeben.«
»Glaubst du, dass sie Räuber sind?« In Alinas Augen leuchtete die Abenteuerlust.
Melisande drückte ihr Kästchen unbewusst fester an sich. »Nein, das glaube ich nicht. Dennoch scheint etwas an ihrem Bericht nicht so zu sein, wie sie es behaupten. Vielleicht sind sie ja auch in einer Schenke in Streit geraten und nun auf der Flucht.«
»Oder es sind entflohene Diebe!«, schlug Alina vor.
»Diebe? Wie kommst du denn darauf?«
»Wenn du nicht befürchten würdest, dass es Diebe sind, warum hast du dann dein Kästchen mit den Brautknöpfen hervorgeholt? Oder sind es etwa meine?« Alina sprang auf und eilte zu ihrer Schwester.
»Nein, Dummerchen, es sind nicht deine Knöpfe. Ich habe sie nur geholt, weil ich sie anschauen wollte.« Merkte Alina ihr an, dass sie nicht die Wahrheit sprach?
Ihre Schwester sah sie prüfend an, kehrte dann aber wieder zur Fensterbank zurück. »Wie lange werden die Fremden wohl hierbleiben?«
»Hoffentlich nicht allzu lange«, antwortete Melisande, während sie sich auf das Bett niederließ und die Schatulle öffnete. Acht fein verzierte Knöpfe erstrahlten goldfarben im Kerzenlicht. Ihre Schönheit schlug Melisande sofort in den Bann, und sie erinnerte sich wieder an die Tage, als ihr Vater die Knöpfe hergestellt hatte. Es war nicht zu vermeiden gewesen, dass sie es mitbekam, doch gegenüber allen anderen musste er seine Arbeit geheim halten, denn die Erlaubnis, Metallknöpfe zu schneiden, hatte er vor einem Jahr noch nicht gehabt.
Melisande nahm eines der kostbaren Stücke heraus. Die Aussicht, diese Knöpfe bald einmal tragen zu können, erschien ihr sehr verlockend. Kein Dieb sollte sie ihr je wegnehmen können.
Als sie den Knopf zurücklegte, bemerkte sie den begehrlichen Blick ihrer Schwester.
»Wenn du sechzehn bist, wird der Vater deine Brautknöpfe fertig haben«, sagte sie eingedenk der Unterhaltung, die sie vorhin geführt hatten. »Du kennst doch den Brauch.«
»Aber ich hätte jetzt schon gern welche!«, entgegnete Alina trotzig. »Und ich würde jetzt schon gern heiraten. Die Anna aus dem Weberhaus wird auch bald ihren Gemahl freien.«
Melisande stellte die Schatulle beiseite, erhob sich und ging zu ihrer Schwester. Widerwillig ließ diese zu, dass die Ältere sie umfasste und auf den Scheitel küsste.
»Ach, Schwesterlein, du wirst schon noch einen Gatten freien, vielleicht sogar schon in deinem sechzehnten Jahr. Papa meint, dass es nicht gut für ein Mädchen ist, so früh zu heiraten. Um Kinder zu bekommen, braucht eine Frau Kraft.«
»Willst du sagen, dass ich zu schwach bin?«
»Nein, aber du wirst erst im Frühjahr vierzehn. Die Anna ist dir ein gutes Jahr voraus.«
»Was ist mit dir?«
Melisande seufzte. »Ich werde natürlich auch heiraten – irgendwann.«
»Irgendwann kann es zu spät sein«, entgegnete ihre Schwester. »Wenn dir ein Bursche gefällt, solltest du es ihn wissen lassen.«
Das werde ich sicher tun, dachte Melisande, nur muss ich erst einmal den Richtigen finden …
Da stürzte die Mutter zur Tür herein. Ihre Hände und die Schürze waren blutverschmiert. »Melisande, schnell, lauf zum Apotheker!«
Erschrocken sprang das Mädchen vom Bettkasten. »Was ist passiert?«
»Wir haben den verletzten Mann nach oben geschafft, aber ich fürchte, er bekommt Fieber. Die Wunde wird bestimmt brandig.«
»Sollte sein Freund ihn dann nicht besser zum Stadtchirurgus bringen?«, wandte Alina ein.
Dasselbe dachte auch Melisande.
Doch die ernste Miene der Mutter duldete keinen Widerspruch. Sie streckte ihrer Ältesten eine Schriftrolle entgegen. Die Handschrift des Vaters war hier und dort durch das grobe Papier gesickert. »Gib ihm diese Nachricht. Er wird wissen,
Weitere Kostenlose Bücher