Die Köchin und der Kardinal
belagert. Die könnten sie ergreifen und sie zu ihrer Trosshure machen.Und selbst wenn es ihr gelingen würde, sich unerkannt durch ihre Reihen zu schleichen, graute es ihr vor dem Rückweg durch den Schwarzwald. Valentin Andreä hielt sich inzwischen wieder in Calw auf, aber die Häuser waren verbrannt, ihre Eltern und ihr Bruder waren gewiss nicht dorthin zurückgekehrt, falls sie den Überfall der Kaiserlichen überhaupt überlebt hatten. Elisabeth beschloss, in Zukunft noch vorsichtiger zu sein. Die Silhouette von Agnes verschwand aus der Fensteröffnung, der Laden wurde geschlossen, und bald darauf erlosch das Licht. Jakob gab ein Stöhnen von sich. Elisabeth meinte, ihren Namen zu hören.
Sie hielt ihr Ohr dicht an seinen Mund. Wie gern hätte sie ihn geküsst! Aber sie durfte die Gefahr, in der sie sich befanden, nicht unterschätzen. Auf jeden Fall musste er erst einmal gesund werden. Elisabeth zupfte die Decke zurecht, strich Jakob über die Stirn und schlich sich zur Tür der Gartenlaube hinaus. Unbehelligt erreichte sie ihr Zimmer, warf den Mantel ab und schlüpfte in ihr Bett.
7.
Nach dem Frühstück eröffnete der Markgraf den Anwesenden, dass die kaiserlichen Truppen im Lauf der Nacht abgezogen seien. Seine Späher hätten ihm berichtet, dass ein Bote aus dem Lager des Jan van Werth gekommen sei, der sie nach Ettlingen berief. Die Stadt Baden sei nicht einnehmbar, weil die Belagerten über zu viele Vorräte, Kanonen und Musketen verfügten. So schnell ging das? Elisabeth wurde es ganz warm vor Freude. Aber sie gestand sich ein, dass es nicht allein die Freude über den Abzug der Kaiserlichen war, sondern auch die Genugtuung darüber, dass Jakob nun verhindert sein würde, mit seinem Heer weiterzuziehen.
»Ich erwarte Euch nach dem Mittagessen in meinem Arbeitszimmer«, sagte der Kardinal zu ihr. Was konnte er von ihr wollen? Den Speiseplan für die nächsten Tage besprechen? Bei dem Gedanken, Agnes könnte etwas bemerkt und es dem Kardinal erzählt haben, wurde ihr ganz kalt. Sie verschwand in der Küche, um zusammen mit Agnes und den Mägden das Mittagsmahl vorzubereiten. Die Stücke vom Reh kochte sie mit rotem Wein, Pfefferkörnern und Wacholderbeeren. Am Schluss rührte sie dicken Sauerrahm unter die Soße. Dazu gab es Apfel- und Birnenkompott. Während Agnes mit den Mädchen das Geschirr in der Küche reinigte, folgte Elisabeth dem Kardinal in sein Arbeitszimmer. Er bat sie, sich mit ihm zusammen ein Bild anzusehen, das an der Wand hing. Es zeigte einen hageren Mann mit buschigen, dunklen Brauen, Backen-, Schnurr- und Kinnbart. In der Hand hielt er einen Zirkel.
»Das ist Johannes Kepler aus Leonberg«, sagte der Kardinal. »Er ist vor vier Jahren gestorben, aber er war mir wie ein Freund.«
Elisabeth hatte schon von dem berühmten Gelehrten gehört. »War nicht seine Mutter als Hexe angeklagt?«
»Ja, sie geriet in den Verdacht der Hexerei. Der Stadtvogt von Leonberg, Lutherus Einhorn, leitete 1615 den Hexenprozess gegen Katharina Kepler ein. Sie war eine Heilerin. Im Oktober 1621 setzte Johannes Kepler ihre Freilassung durch. Ich habe ihn dabei unterstützt. Leider verstarb Katharina Kepler ein Jahr später aufgrund der langen Kerkerhaft.«
»Ihr habt ihn unterstützt? Das ehrt Euch, Herr Weltlin!«
»Nicht nur das«, fuhr der Kardinal fort. »Ich habe mich auch mit seinen Lehren beschäftigt. Bisher glaubte man ja, dass sich die Sonne um die Erde drehe. Kepler nahm an Diskussionen über Theorien des Astronomen Nikolaus Kopernikus teil. Der hatte behauptet, dass die Erde und alle anderen Planeten sich um die Sonne drehen – und die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls sei. Das hat Kepler nie mehr losgelassen. Wie besessen versuchte er, die Theorie des Kopernikus zu beweisen.«
»Glaubt Ihr denn daran, dass nicht die Erde, sondern die Sonne im Mittelpunkt des Weltalls steht?«, fragte Elisabeth. Sie war unruhig, einmal wegen des ungewöhnlichen Themas, das sie dem Kardinal nicht zugetraut hätte, zum anderen wegen seiner Vertraulichkeit mit einer Untergebenen, zum Dritten wegen des feindlichen Soldaten, den sie auf dem Gelände des Schlosses versteckt hatte.
»Könnt Ihr Stillschweigen bewahren?«, wollte der Kardinal von ihr wissen.
»Ich möchte Euch dienen, so gut ich es kann«, antwortete Elisabeth.
»Vom ersten Augenblick an hatte ich Vertrauen zu Euch, Elisabeth«, fuhr der Kardinal fort. »Deshalb wusste ich, dass ich Euch in diese Dinge einweihen würde. Inwieweit ich
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