Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
Konflikt, der Erdwelt bedroht, reicht sehr viel tiefer und ist sehr viel älter. Und es geht dabei um sehr viel mehr.«
12
E s war die Zeit, die Winmar am meisten fürchtete.
Wenn die Tagesgeschäfte erledigt waren; wenn die Routine getan war und die Nacht sich herabsenkte; wenn sich der Zwergenkönig aus dem Thronsaal zurückzog und seine Gemächer aufsuchte, um unbehelligt von allen Hofschranzen und Speichelleckern Ruhe zu finden.
Winmar brauchte den Schlaf.
Seit er den Thron von Erdwelt bestiegen hatte, schien etwas an ihm zu zehren, beständig an seinen Kräften zu nagen. Ohnehin waren die Tage, in denen er ein junger Zwergenkrieger gewesen war, kräftig und berstend vor Tatendrang, vorüber; doch in letzter Zeit verspürte er eine Erschöpfung, die ihre Ursache mehr in seinem Geist zu haben schien als in seinem Körper. Den Grund dafür ahnte er, doch er gestattete sich nicht, darüber nachzudenken, denn ihm war klar, dass nicht nur sein Handeln beobachtet wurde, sondern auch seine Gedanken.
So wie Winmar seine Untertanen bespitzelte, wurde auch er selbst bespitzelt. Zu keinem Zeitpunkt konnte er sich unbeobachtet fühlen, stets lastete der Blick des unsichtbaren Auges auf ihm. Es gab keine Möglichkeit, diesem Blick zu entgehen, und in jenen Stunden, in denen der Zwergenkönig allein in seinen Gewölben weilte, spürte er ihn stärker als sonst auf sich lasten. Der Blick erinnerte ihn daran, dass der Herrscher von Erdwelt nicht nur kontrollierte, sondern dass er auch kontrolliert wurde – von etwas, das außerhalb seines Begreifens lag …
»Nun?«, meldete die Stimme sich.
Winmar holte keuchend Atem. Früher hatte sie nur gelegentlich zu ihm gesprochen, und dann meist, um ihm hilfreich zur Seite zu stehen. Inzwischen lauerte sie in seinem Kopf, wann immer er allein war, und ihr Tonfall hatte sich merklich geändert, war fordernd geworden, ungeduldig, drängend.
»Die Vorbereitungen für die Abreise werden bereits getroffen, Meister«, erstattete der Zwergenkönig Bericht, leise, damit die Wachen und Diener vor der Tür nichts von der Unterhaltung mitbekamen. Es war nicht von Vorteil, wenn sich im Palast verbreitete, dass der König des Nachts zu sich selbst sprach … »Mein Thron wird künftig nicht mehr in Gorta Ruun stehen, sondern in Tirgas Winmar, so wie Ihr es befohlen habt.«
»Sehr gut. Du musst wissen, dass die Stadt in den alten Tagen Kal Anar hieß. Sie war überaus mächtig und weithin gefürchtet.«
»Das wird Sie wieder sein, Meister«, versicherte Winmar beflissen. »Ihr könnt Euch auf Euren Diener verlassen.«
»Das hoffe ich, denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Es muss ein Weg gefunden werden, der uns zueinander führt, denn unsere Feinde sind bereits dabei, sich neu zu formieren.«
»Welche Feinde? Von wem sprecht Ihr, Meister?«
»Ich musste eine Erschütterung im Gefüge meiner Pläne bemerken«, grollte die Antwort. »Osberts Sohn hat seine Zuflucht im Wald verlassen.«
»Was? Woher …?« Winmar unterbrach sich. Es war sinnlos, die Stimme nach der Quelle ihrer Informationen zu fragen oder sie auch nur einen Augenblick lang anzuzweifeln. Wenn die Stimme sagte, dass es geschehen war, dann war es auch geschehen. »Warum hat der Wächter ihn nicht daran gehindert?«, erkundigte er sich stattdessen.
»Der Wächter wurde getötet.«
Der Zwergenkönig merkte, wie sich etwas in ihm verkrampfte. »Wie konnte das geschehen? Sagtet Ihr nicht, Euer Wächter wäre unüberwindbar?«
»Für Menschen, ja. Offenbar hatte der Gefangene Hilfe.«
Winmar wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Schon so lange hörte er diese Stimme in seinem Kopf, aber zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass sie sich veränderte. Gerade so, als wäre zum ersten Mal etwas geschehen, das nicht dem Plan der Stimme entsprach.
Wäre es nach ihm selbst gegangen, so hätte er Daghan von Ansun und Aryanwen von Tirgaslan, die Kinder seiner beiden mächtigsten Feinde, töten lassen, als er die Gelegenheit dazu hatte. Die Stimme jedoch hatte angeordnet, sie am Leben zu lassen, und nun sah es fast aus, als hätte sie sich geirrt. Was sollte er davon halten?
»Und nun, Meister?«, unterbrach er rasch seinen Gedanken, um sich nicht zu verraten.
»Wir müssen noch entschlossener handeln«, lautete die Anordnung. Von Verunsicherung – wenn sie überhaupt je da gewesen war – war nichts mehr zu spüren. »Du wirst alles Nötige veranlassen, um den Umzug in die neue Hauptstadt voranzutreiben. Die
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