Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
dafür ließ sich einfach benennen, denn er trug einen Namen.
Lavan.
Jede Meile, die Aryanwen zwischen sich und ihrem Gemahl wusste, beruhigte sie und ließ ihren Mut wieder ein wenig wachsen, und dies umso mehr, da die Arzneien, die Acha ihr verabreichte, zu wirken schienen. Ab und an hatte Aryanwen das Kind sogar wieder fühlen können, wenn auch nur zaghaft. Es schien ebenso müde und erschöpft zu sein wie sie selbst.
Um Elfenhain möglichst rasch zu erreichen, waren sie die halbe Nacht und den ganzen darauffolgenden Tag unterwegs gewesen. Im Schein der Fackeln, die die Frauen trugen, waren sie dem Verlauf der Handelsstraße gefolgt, um dann auf eine der Nebenrouten abzubiegen, die quer durch den Wald nach Westen führten. Und obwohl der Wald von Trowna nur noch einen Bruchteil seiner einstigen Größe besaß, war er doch noch immer ein gewaltiges Gehölz, das sich im Westen bis an die Ausläufer des Schwarzgebirges erstreckte. Und wie in den alten Zeiten gab es noch immer viele Mythen und Legenden, die sich um den Wald rankten – und um jene, die darin lebten.
Im Schutz eines umgestürzten Baumes, der von Schlinggewächsen überwuchert war und auf diese Weise eine natürliche Behausung formte, schlugen die Hebammen ihr Nachtlager auf. Bevor auch nur eine von ihnen daran dachte, sich nach dem stundenlangen Marsch durch den Wald auszuruhen oder zu stärken, bereiteten sie ein bequemes Lager aus Moos und Reisig, auf das sie Aryanwen betteten – das Wohl der Genyra stand für sie an oberster Stelle.
Mila, die Jüngste der vier Frauen aus Elfenhain, hatte die erste Wache übernommen. Oben auf dem umgestürzten Stamm hatte sie Posten bezogen, während sich ihre Schwestern schlafen gelegt hatten. Nur die alte Acha setzte sich ans Feuer, das sie im Schutz einer Grube entfacht hatte, Aryanwen gegenüber.
Die Flammen knackten, Funkenglut stob in die Dunkelheit. Ein Kauz schrie irgendwo, und ein Wolf heulte, sodass Aryanwen auf ihrem Lager zusammenzuckte.
»Sorge dich nicht, Genyra«, sagte Acha gelassen. »Hier sind wir in Sicherheit.«
Erneut das Heulen eines Wolfs, näher diesmal.
»Seid Ihr sicher, Mutter Hebamme?«
»Allerdings.« Acha lächelte. »Denn ich weiß, dass uns etwas umgibt, das uns schützt.«
Aryanwen hob die Brauen. »Ihr sprecht von … von einem Zauber.«
Acha lachte in sanftem Spott. »In deinem Alter solltest du nicht mehr an derlei Dinge glauben. Was ich meine, ist der Ruf, der uns vorauseilt, wohin auch immer wir kommen. Die Frauen von Elfenhain sind als Dienerinnen des Lebens bekannt. Niemand würde ihnen je ein Leid zufügen – selbst die Kreaturen des Waldes achten dieses Gesetz.«
Aryanwen widersprach nicht. Weder war sie sich ganz sicher, ob die alte Frau es ernst meinte, noch war sie überzeugt, dass sich eine Meute hungriger Wölfe vom Ehrenkodex der Hebammen aufhalten lassen würde. Aber der Gedanke gefiel ihr, und er hatte zumindest etwas Beruhigendes.
»Darf ich dich etwas fragen, Genyra?«
»Natürlich.« Aryanwen nickte.
»In Tirgaslan, als du mich anflehtest, das Kind noch nicht in die Welt zu holen, sah ich nackte Furcht in deinen Augen, und die ganze Zeit über frage ich mich bereits, woran das gelegen haben mag.«
»Ich war verzweifelt«, erklärte Aryanwen schnell. »Mein Gemahl, der König, drohte, nach Heilern aus Gorta Ruun zu schicken, und ich wollte nicht, dass …«
»Wer ist der Vater?«, fragte Acha unvermittelt.
»Mutter Hebamme?« Aryanwen glaubte, nicht recht zu hören.
Ein sanftes Lächeln schlich sich in Achas faltige Züge. »Meine Augen mögen mich bisweilen im Stich lassen, aber manche Dinge sehe ich im Alter klarer als je zuvor. Willst du es mir also verraten, mein Kind?«
Mein Kind …
Die Tatsache, dass Acha auf die offizielle Titulierung der Genyra verzichtet hatte, legte nahe, dass sie nicht in ihrer Eigenschaft als Hebamme gefragt hatte.
Sondern als Vertraute.
Als Freundin.
Aryanwen hatte plötzlich das Gefühl, ihr die Wahrheit schuldig zu sein, wenigstens einen Teil davon. »Euer Blick hat Euch nicht getrogen«, gestand sie leise. »König Lavan ist nicht der Vater meines Kindes, aber ich werde Euch den Namen des tatsächlichen Vaters nicht nennen. Nicht, weil ich Euch misstraue, sondern weil ich Euch nicht in Gefahr bringen will.«
»Das spricht für dich, Kind. Doch ich frage mich, wie du diese Täuschung aufrechterhalten willst. Je älter das Kind wird, desto deutlicher wird die Wahrheit zutage treten. Irgendwann wird
Weitere Kostenlose Bücher