Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
Befragungen erarbeitet hatte, sagte ihm, dass sich die Situation grundlegend geändert hatte.
Alles an Lavans Erscheinung – sein unstetes Augenspiel, seine blutleeren Lippen, sein leicht zwischen die Schultern gezogenes Haupt, seine nervös hantierenden Hände – deutete darauf hin, dass er nicht mehr jener ruchlose Taktierer war, der Vigor noch vor wenigen Tagen in den Kerker geschickt hatte. Allein die Tatsache, dass er ihn zu nächtlicher Stunde aus seiner Zelle hatte holen lassen, sprach Bände. Die jüngsten Ereignisse schienen nicht nur Lavan selbst, sondern auch sein Weltbild in den Grundfesten erschüttert zu haben, und aus Erfahrung wusste Vigor, dass dies die beste Grundlage für einen Neubeginn war.
»Wollt Ihr mir davon erzählen?«, fragte er in jenem Tonfall, den er sich für Fälle wie diesen angewöhnt hatte – dann, wenn ein Gefangener kurz davor war, sein Schweigen zu brechen und man die vorzeigbarsten Ergebnisse erzielte, wenn man als sein bester Freund auftrat. Vigor hatte die Erfahrung gemacht, dass vor allem Menschen dazu neigten, im Angesicht nackter Furcht ihr Vertrauen planlos zu verschenken.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Lavans Stimme war trocken und tonlos. »Die Nachricht ist vor wenigen Stunden eingetroffen. Jäger haben gestern eine Rauchsäule über dem Wald gesichtet … Orks haben Elfenhain überfallen und alle Frauen dort niedergemetzelt.«
»Und – Eure Gemahlin?«, fragte Vigor.
»Ist verschwunden, zusammen mit dem Kind – ich muss davon ausgehen, dass die Orks sie beide verschleppt haben.« Lavan sah auf. Mit einer Mischung aus Überraschung und Befremden stellte Vigor fest, dass der König von Tirgaslan Tränen in den Augen hatte. »Natürlich habe ich sofort Soldaten ausgesandt, aber es gibt wenig Hoffnung. Diese grünen Bastarde verstehen es meisterlich, sich im Wald zu verbergen. Vermutlich sind sie bereits über alle Berge.«
»Woher wisst Ihr, dass es Orks waren?«
»Ich weiß es«, entgegnete der König gepresst, »weil es Dinge gibt, die Menschen ihren Opfern niemals antun würden.«
Vigor hätte widersprechen können, aber er tat es nicht. Überhaupt schwieg er, zumal er das Gefühl hatte, dass Lavan noch nicht alles losgeworden war, was auf ihm lastete.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass das Euer Werk ist, General«, flüsterte der König. »Die Tat trägt Eure Handschrift. Es würde Euch ähnlich sehen, mich mit Lügen von einer Verschwörung gegen den König abzulenken, während Eure Orks die Schmutzarbeit für Euch verrichten.«
»Und was sagt Euch, dass es doch nicht so gewesen ist?«
Ein schwaches Lächeln hob Lavans feiste Wangen. »Ich habe es in Betracht gezogen«, gab er zu. »Aber dann ist mir klargeworden, dass Ihr niemals nur um einer Ablenkung willen Eure Haut riskieren würdet. Und was Eure Ork-Söldner betrifft, so habe ich ja bereits dafür Sorge getragen, dass sie keinen Schaden mehr anrichten können.«
»Das habt Ihr.« Vigor nickte.
Ohne Bedauern.
Ohne Zorn.
Krushak und die anderen Unholde waren Werkzeuge gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Nützlich, solange sie in seinen Diensten gestanden hatten, aber auch entbehrlich. Nun galt es, den Blick nach vorn zu richten.
»Was also folgert Ihr aus alledem?«, wollte er wissen.
»Dasselbe, das auch Ihr sofort gefolgert habt.«
»Winmar.« Vigor nickte abermals.
»Aber warum?«, fragte Lavan. »Was bezweckt er damit?«
»Ich habe es Euch gesagt – der König hat den Verstand verloren. Nicht er, sondern seine Giftmischer haben das Sagen in Gorta Ruun, und was ihre Ziele und Absichten betrifft, so sind sie mir ebenso schleierhaft wie ihr ewiges Gerede von Formeln und Naturgesetzen. Die Alchemisten sind es gewesen, die mich zu Euch geschickt haben – vermutlich tatsächlich nur, um Euch abzulenken. In Wahrheit ging es ihnen um die Entführung Eures Weibes und Eures Kindes.«
»Die Frage bleibt bestehen«, erwiderte Lavan, der unruhig auf seinem Stuhl umherrutschte. »Was bezwecken sie damit? Was wollen sie von meinem Erben?«
»Was auch immer es ist«, entgegnete Vigor und gab sich Mühe, dabei so unheilvoll wie nur irgend möglich zu klingen, »es würde Euch sicher nicht gefallen.«
Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.
Lavans Miene wurde noch blasser, als sie es ohnehin schon war, ein deutlich sichtbarer Kloß wanderte seinen kurzen Hals hinauf und wieder hinab. Den Blick, der sich in seinen Augen formte, hatte Vigor schon oft
Weitere Kostenlose Bücher