Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
ja gar nichts Besonderes sein! Vielleicht wollen wir einfach nur unser Leben leben und dabei in Ruhe gelassen werden!«
»Dies zu entscheiden, liegt nicht in deiner Macht«, beschied Dwethan ihm schlicht. »Die Zeiten, in denen wir leben, sind nicht dazu angetan, ein Dasein in Frieden und Beschaulichkeit zu fristen. Dunkle Dinge geschehen dort draußen in der Welt, Junge, gefährliche Dinge – und sosehr du dir einreden magst, dass es nur um dich geht und um die Menschen, die du liebst, ahnst du doch längst die Wahrheit. Das ist der Grund, weshalb du von Unruhe erfüllt bist und hier auf und ab gehst wie ein gefangener tagyr .«
»Die Wahrheit«, spottete Dag. »Welche Wahrheit denn?«
»Dass du zu Höherem ausersehen bist als dazu, ein ruhiges, beschauliches Leben zu führen. Wäre es anders, hättest du längst entschieden, dich mit Alured und den anderen Kriegern von Ansun auf den Weg nach Tirgaslan zu begeben und Aryanwen zu befreien. Aber du weißt genau, dass es um mehr geht, und dass du dich deiner Verantwortung nicht entziehen kannst.«
Dag schnaubte. »Meinem Vater gegenüber? Ich habe mein Leben lang versucht, dieser Verantwortung gerecht zu werden, und es ist mir nicht gelungen. Wieso also sollte ich jetzt an den Ort zurückkehren, an den ich niemals wieder zurückkehren wollte, um ausgerechnet den Mann zu befreien, der mich für einen Schwächling und Versager hält?«
»Weil du weißt, dass es das Richtige ist«, entgegnete Dwethan. »Ich weiß, was in dir vorgeht, Junge, ich kenne den Konflikt, der in dir tobt, denn auch ich habe ihn schon mit mir ausgetragen, ungezählte Male. Doch wenn du deinem Herzen gehorchst, wirst du damit womöglich alles zerstören, wofür Aryanwen und du zeit eures Lebens gekämpft habt. Der Weg, den du gehen musst, führt nach Gorta Ruun – denn nur, wenn die freien Clans einig zusammenstehen, haben sie eine Chance, sich in dem Sturm zu behaupten, der über die Welt kommen wird.«
»Ihr sprecht in Rätseln, alter Mann … von Stürmen und von dunklen Dingen, die über die Welt hereinbrechen werden. Ich verstehe das alles nicht.«
»Das kannst du auch nicht, denn da ist zu viel, das du noch nicht weißt. Aber auch dir muss offenbar geworden sein, dass Erdwelt tief gespalten ist, Daghan. Dunkle Kräfte, die über Jahrhunderte geruht haben, erwachen und sind wieder auf dem Vormarsch – und das konnte nur geschehen, weil die Menschen untereinander uneins geworden sind, weil Bruder gegen Bruder kämpft und Sohn gegen Vater. Deshalb muss der Sohn zurückkehren, um den Vater zu befreien, denn genau das ist es, was Erdwelt braucht – Versöhnung.«
»Und dafür soll ich womöglich die Frau opfern, die ich liebe? Und mein Kind, dem ich nie begegnet bin? Das ich noch nie in meinen Armen gehalten habe?«
»Ich weiß, dass ich viel verlange, Junge«, versicherte Dwethan, »aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Was zerrissen war, muss wieder zueinander finden, was verlorenging, muss wiederhergestellt werden, Ehre und Hoffnung – sonst hat die Menschheit keine Zukunft.«
»Warum kann kein anderer gehen? Warum ausgerechnet ich?«
»Wie ich schon sagte – nur der Sohn kann den Vater befreien. Aber du sollst nicht denken, dass die Krieger Ansuns nicht erwogen hätten, ihren Herzog aus Gorta Ruun herauszuholen. Mehrmals war Alured kurz davor aufzubrechen – ich war es, der ihn zurückgehalten hat, weil das Unternehmen von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Nur einen gibt es, der jemals aus Winmars Kerker entkommen konnte, auf dunklen und verschlungenen Pfaden, die nur er kennt – und das, mein Junge, bist du.«
»Und – Aryanwen?«
»Ich kann nicht an deiner Stelle nach Gorta Ruun gehen«, erwiderte Dwethan, »aber ich kann dir anbieten, an deiner statt gen Tirgaslan zu ziehen, um deine Frau und dein Kind vor Lavans Zorn zu bewahren.«
Dag sah ihn überrascht an. »Das würdet Ihr tun? Aber … Ihr seid nur ein alter Mann!«
»Vielen Dank auch. Obwohl du nicht sehen kannst, lässt du dich vom Schein trügen«, tadelte der Alte. »Dabei solltest du inzwischen erkannt haben, dass ich kein gewöhnlicher Greis bin und manche Überraschung in meinen alten Knochen steckt. Ich bin schon früher in der Königsstadt gewesen und darf behaupten, sie gut zu kennen – jedenfalls nicht schlechter als du.«
Dag kaute die Worte wie schweren Wein, während er sie sich durch den Kopf gehen ließ. Es stimmte – Dwethan war fraglos sehr viel mehr als
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