Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
er gar nicht mehr auf Dags Bewegungen geachtet hatte. Der Stoß, den Dag mit der Kraft der Verzweiflung führte, traf ihn jedenfalls – und das scharfe Zischen, das der Kehle seines Gegners entfuhr, zeigte Dag an, dass er ihn hart getroffen hatte.
Neue Kraft erfüllte ihn plötzlich, jähe Hoffnung.
Der quälenden Schmerzen ungeachtet, warf er sich auf dem Boden herum, um dem Schlag zu entgehen, der vielleicht noch erfolgen mochte. Ob es so war, bekam Dag nicht mehr mit, denn er sprang auf die Beine, und indem er den Stock beidhändig am untersten Ende packte, holte er nun seinerseits zu einem letzten, verzweifelten Schlag aus.
Dag schrie laut, brüllte seine Wut, den Schmerz und die Frustration laut hinaus, während er den Kampfstab schwang wie ein Ork-Berserker seine Keule – und im nächsten Moment gab es ein trockenes, fast hohles Geräusch, dicht gefolgt von einem Klirren und Plumpsen, wie wenn etwas sehr Schweres zu Boden fällt. Das Gelächter der Zuschauer verstummte augenblicklich, und Schweigen kehrte ein, in dem Dag, der wankend dastand, den Stab noch immer beidhändig erhoben, nur seinen eigenen keuchenden Atem hörte und das Rauschen des Blutes in seinem Kopf.
Dann brandete Beifall auf.
Eine helle Stimme – möglicherweise Catrionas – rief etwas, dann setzte lautstarker Jubel ein, und die Männer droschen mit ihren Fäusten auf den Tisch, dass es in der Halle nur so dröhnte. Und ganz langsam sickerte in Dags schmerzenden Schädel die Erkenntnis ein, dass er den Kampf gewonnen hatte. Vielleicht nicht mit ganz fairen Mitteln und mit einer ungeheuren Portion Glück – aber er hatte gewonnen!
Obschon sein Körper ein einziger Schmerz war und er sich kaum auf den Beinen halten konnte, stieß er den Kampfstab in einer triumphierenden Geste in die Höhe, worauf der Jubel nur noch lauter wurde. Dag versuchte sich vorzustellen, welchen Anblick er bieten musste, wie er da stand, gebeugt, blutüberströmt und mit der Binde über den Augen, und doch übers ganze malträtierte Gesicht grinsend.
Erstmals seit langer, seit undenklich langer Zeit empfand er wieder etwas wie Genugtuung und inneren Triumph, und er genoss das Gefühl, auch wenn er wusste, dass es eitel und der Sieg im Grunde nichtig war. Aber dieser Augenblick, so flüchtig und unbedeutend er sein mochte, gehörte ihm.
»Gut gemacht«, sagte Dwethan plötzlich neben ihm und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, was Dag fast zusammenbrechen ließ.
»Warum habt Ihr mir nicht geholfen, alter Mann?«, fragte Dag in seine Richtung.
»Weil ich zu jedem Zeitpunkt wusste, dass du noch gewinnen kannst.«
Noch ehe Dag darauf eine Antwort einfiel, ergriff Lord Anghas das Wort.
»Daghan, des Osberts Sohn«, sagte er laut. »Du hast tapfer gekämpft und den Sieg errungen.«
»Dann habe ich die Prüfung bestanden?«, fragte Dag. Seine Stimme klang dünn und hohl, wie aus einem tiefen Loch.
»In jeder Hinsicht«, bestätigte der Clansherr. »Du hast alles gegeben – deinen Mut, deine Tapferkeit und wohl noch manches mehr, wenn ich mir dich ansehe.«
Dag grinste freudlos. Selbst das schmerzte.
»Je größer das Unrecht ist, das einem Mann zugefügt wird, desto größer ist die Ehre, wenn er sich dieses Unrechts erwehrt«, folgerte Anghas. »Mein Bruder hat dir einen wertvollen Freundschaftsdienst erwiesen.«
»Einen Freundschaftsdienst?« Die Wunde an Dags Schläfe blutete noch immer.
»Gewiss. Hättest du den Kampf abgebrochen oder dich ihm erst gar nicht gestellt, hätte die Schande nicht nur dich getroffen, sondern auch denjenigen, der dich herausgefordert hat. Indem er erklärte, gegen dich kämpfen zu wollen, hat Ferghas dir also großes Vertrauen und noch größere Zuneigung erwiesen. Aber vermutlich wird noch einige Zeit vergehen, bis dir das tatsächlich klar wird.«
»Vermutlich«, stimmte Dag zu, der eben erst zu begreifen begann, nach welchen ganz eigenen, für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehenden Regeln die Clansleute lebten. Begriffe wie Ehre, Freundschaft und Vertrauen, deren Bedeutung in den zivilisierten Westlanden unscharf und verschwommen geworden war, besaßen hier noch absolute Gültigkeit.
»Und bis der gute Ferghas wieder aufwacht, wird vermutlich auch noch einige Zeit vergehen!«, rief jemand, und derbes Gelächter brandete von allen Seiten auf – offenbar war Anghas’ Bruder noch immer nicht aus der Ohnmacht erwacht, in die Dags vernichtender Schlag ihn geschickt hatte.
»Dann darf ich jetzt
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