Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
Aryanwen.
Der Gedanke an die Frau, die er liebte, machte ihn schwermütig. Er suchte ihn rasch zu verdrängen, aber es gelang ihm nur teilweise. Aryanwen war sein Leben. Wie, so fragte er sich jetzt, hatte er sie nur jemals verlassen können?
Dumpfer Hufschlag näherte sich, jemand brachte sein Pferd neben seines. Man hatte Dag ein eigenes Tier gegeben, einen braven Schecken, der es offenbar gewohnt war, seinen Artgenossen in einem Tross zu folgen. Zur Sicherheit ritt dennoch meist jemand an Dags Seite. Häufig war es Alured, sodass Dag auch diesmal dachte, es wäre der Freund aus glücklichen Kindheitstagen, der sein Pferd neben ihm zügelte.
Aber die Geräusche, die den Reiter begleiteten, waren andere, ebenso wie der Geruch. Als der andere schließlich das Wort ergriff, wusste Dag, wen er neben sich hatte.
»Nun?«, hörte er Ferghas mit rauer Stimme und noch rauerem Akzent fragen. »Hast du dich wieder erholt?«
Dag war verblüfft. Es war das erste Mal, dass Ferghas ihn ansprach, seit sie im Kampf aufeinander getroffen waren. Als er gehört hatte, dass Lord Anghas ihn seinem Trupp zugeschlagen hatte, hatte er sich gewundert. Aber ihm war auch klar gewesen, dass er es dem Clansherren nicht würde ausreden können.
»Ja«, bestätigte er deshalb und grinste schief. »Und Ihr?«
Ferghas lachte auf. »Das war ein sauberer Schlag, nicht schlecht für einen hogyn , das muss ich schon sagen.«
Dag wollte nicht fragen, was ein hogyn war, aber er nahm sich vor, sich gelegentlich bei Alured danach zu erkundigen.
»Ich will etwas klarstellen«, fuhr Ferghas fort. »Ich bin nicht hier, weil mein Bruder es befohlen hat, sondern auf meinen eigenen ausdrücklichen Wunsch.«
»Es war Euer Wunsch, mich zu begleiten?«
»Als wir kämpften, habe ich dir hart zugesetzt. Ich habe dir Stoß um Stoß versetzt, aber du hast alles eingesteckt, hast gar nach mehr verlangt – und dir damit meinen Respekt verdient. Und statt aufzugeben, hast du bis zum Schluss gekämpft und mich – auch wenn ich es nicht gerne zugebe – besiegt. Eine Niederlage ist immer schmerzlich, aber ich empfinde es als Ehre, dass ich es sein durfte, der diese Seite an dir zum Vorschein gebracht hat. Deshalb bin ich hier.«
»Aus Dankbarkeit?«, fragte Dag ungläubig.
»Aye. Genauso ist es.«
Dag biss sich auf die Lippen. Einmal mehr ging ihm auf, dass im Kodex der Clanskrieger manches anders war, als er es gewohnt war. Aber er begann auch zu begreifen, nach welchen einfachen und doch klaren Regeln diese Menschen lebten.
»Nein«, widersprach er deshalb. »Ich bin es, der zu danken hat – dafür, dass Ihr mir gezeigt habt, wozu dieser Körper noch in der Lage ist.«
»Das habe ich!«, versicherte Ferghas. »Mein verdammter Schädel brummt noch immer!«
Er sagte es mit derartiger Inbrunst, dass Dag unwillkürlich lachen musste, zum ersten Mal nach sehr langer Zeit – und der Mann, der noch vor wenigen Tagen alles daran gesetzt hatte, das letzte Quäntchen Mut aus ihm herauszuprügeln, fiel in das Gelächter mit ein.
»Und«, meinte er schließlich prustend, »hör endlich auf mit dem gestelzten Gerede. Du hast bewiesen, dass du ein Krieger bist, und Krieger sollten einander nicht wie Hofschranzen anreden, hast du verstanden?«
»Verstanden«, versicherte Dag.
»Sehr gut, hogyn .«
Nun wollte Dag doch fragen, was es mit diesem Wort, das er nicht kannte und für das es in der Sprache der Westmenschen offenbar keine Entsprechung gab, auf sich hatte – aber er kam nicht dazu. Denn in diesem Moment erklang ein gellender Alarmruf.
»Schatten!«
Dwethan hatte sie gewarnt – und er hatte es so eindringlich getan, dass keiner der Gefährten auch nur einen Augenblick zögerte. Selbst Dag, obschon er nichts sehen konnte, dachte nicht lange nach, sondern ließ sich seitlich aus dem Sattel gleiten. Dann packte ihn auch schon jemand an der Schulter und zog ihn mit, drückte ihn zu Boden.
Dag ließ sich nieder, inmitten von raschelndem Gebüsch. Jemand war dicht neben ihm, vermutlich Ferghas oder Alured, er wagte nicht zu fragen.
Augenblicke lang geschah gar nichts.
Dag verharrte wie versteinert, während er angestrengt lauschte. Aber alles, was er hörte, waren die stoßweisen Atemzüge seiner Gefährten, die sich wie er im Gebüsch versteckten. Und aus einiger Entfernung das unruhige Schnauben eines Pferdes.
Dann das Rauschen.
Wie von einem Wasserfall, der aus dem Himmel auf sie herabstürzte, um sie zu ertränken.
Und mit dem Rauschen kam
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