Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
gerettet.«
»Hm«, machte Lavan, der am anderen Ende der Tafel saß und leeren Blickes vor sich hin starrte. Was in seinem kahlen Schädel vor sich ging, war unmöglich zu erraten. Aryanwen konnte nur hoffen, dass er ihren Worten Glauben schenken würde.
Aber sie ahnte zugleich, dass die Gefahr nicht vom König ausging, sondern von der kleinwüchsigen, gedrungenen Gestalt, die mit ihm an der Tafel saß.
Vigor.
Aryanwen wusste nicht, was Winmars oberster Folterknecht in Tirgaslan zu suchen hatte, und sie konnte sich auch nicht erklären, weshalb er plötzlich in solch engem Verhältnis zu ihrem Gemahl zu stehen schien – waren die beiden bei ihrer letzten Begegnung nicht noch erbitterte Rivalen um Winmars Gunst gewesen? Doch die Zeiten schienen sich geändert zu haben. Aus einstigen Feinden waren Verbündete geworden – und Aryanwen sah sich damit gleich zwei Richtern ausgesetzt, die sie überzeugen musste.
»Das Kind«, sagte Lavan. »Wo ist mein Erbe?«
»Noch in der Gewalt der Orks«, entgegnete Aryanwen und musste noch nicht einmal besondere Mühe aufwenden, damit ihr erneut Tränen in die Augen stiegen – der Gedanke an Alannah, die sie zurückgelassen hatte, stimmte sie tieftraurig, auch wenn sie wusste, dass es so am besten war. »Ich hatte keine Möglichkeit, ihn ebenfalls zu befreien, sosehr ich es auch wünschte. Also beschloss ich, mich nach Tirgaslan durchzuschlagen.«
»Ihr müsst erschöpft sein«, bemerkte Vigor.
Aryanwen blickte an sich herab. Ihr Kleid war zerschlissen, ihr Haar in Unordnung, Arme und Beine von Buschwerk zerkratzt, die Augen von Tränen gerötet.
»Wie lange seid Ihr gelaufen, sagt Ihr?«
»Ich vermag es nicht zu sagen. Der Überfall ereignete sich in den Morgenstunden. Danach wurde ich von den Orks gefangen und verschleppt. Wann genau mir die Flucht gelang, weiß ich nicht mehr – nur dass ich bis zum Einbruch der Dunkelheit gerannt bin, weiter und immer weiter.«
»Und die Unholde?«, fragte Lavan. »Wohin sind sie gezogen?«
Aryanwen zögerte einen unmerklichen Augenblick. Nun kam es darauf an. »Nach Norden«, entgegnete sie dann und versuchte, dabei möglichst überzeugend zu klingen. »In Richtung Scharfgebirge.«
Sie konnte sehen, dass der König und Vigor Blicke tauschten – vielsagende Blicke, die sich auf vorangegangene Gespräche zu beziehen schienen, und Aryanwen hätte manches darum gegeben zu erfahren, worum es bei diesen Unterredungen gegangen war.
»Wollt Ihr damit andeuten, Königin, dass unser über alles geliebter Herrscher Winmar hinter dem feigen Angriff steckt?«, fragte der Zwerg spitz. »Dass die Orks, die die Hebammen getötet und Euch und den königlichen Erben verschleppt haben, in seinem Auftrag handelten?«
Aryanwen entging nicht der bedrohliche Unterton in Vigors Stimme. Sie zögerte mit der Antwort, wog kurz ihre Möglichkeiten ab. Zweifellos würde Winmars Speichellecker heftig widersprechen und versuchen, sie vor ihrem Gemahl unglaubwürdig zu machen. Aber die Tatsache, dass sein Sohn entführt worden war, schien Lavan schwer zugesetzt zu haben – gut möglich, dass ihn das gegen Winmar aufbringen würde. Und vielleicht, dachte Aryanwen, gelang es ihr sogar, auf diese Weise einen Keil zwischen ihren Gemahl und Vigor zu treiben, mit dem er sich plötzlich so gut zu verstehen schien.
»Ja«, sagte sie deshalb mit aller Überzeugung, die sie aufzubringen vermochte, »das will ich. Denn der Erbe des Königs von Tirgaslan stellt eine Bedrohung für Winmars Macht dar, die er nicht einfach hinnehmen kann!«
Ihr wütender Blick streifte Vigor, und sie erwartete, dass er heftig widersprechen und zu einer seiner gefürchteten Tiraden ausholen würde, bei denen er Lüge und Wirklichkeit nach seinen Bedürfnissen zu verdrehen pflegte.
Doch es kam anders.
»Da hört Ihr es«, sagte Vigor, an Lavan gewandt. »Ich habe es Euch gesagt, aber Ihr wolltet nicht auf mich hören – nun glaubt wenigstens den Worten Eures Weibes!«
Aryanwen traute ihren Ohren nicht.
Hatte Vigor Ihr gerade recht gegeben?
War er ihr tatsächlich zu Hilfe gekommen?
Oder war auch das wieder nur eine Täuschung?
»Seht Ihr jetzt, dass Winmar Euer Feind ist?«, fuhr der Zwerg fort, als wollte er jeden Verdacht gegen sich im Keim ersticken. »Dass er Euren Untergang will?«
Lavan saß noch immer reglos und starrte vor sich hin. Sein kahler Schädel war puterrot geworden, seine Lippen bebten. »Ja«, ächzte er, »nun sehe ich es.«
»Mein Gemahl, sendet
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