Die Koenigin der Schattenstadt
Er konnte Catalina auch auf eigene Faust suchen! Jetzt und sofort! Schließlich kannte er die alte Frau nicht, wenngleich sich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kartenmachermädchen nicht leugnen ließ.
Würde Catalina in vielen, vielen Jahren so aussehen wie Nuria Niebla heute? Und wäre Jordi dann bei ihr, um zu sehen, ob es stimmte, was er sich Jahre um Jahre zuvor ausgedacht hatte?
Wenn du jetzt einen Fehler machst, wirst du sie nicht mehr wiedersehen, flüsterte eine Stimme in ihm. Wenn du dich falsch entscheidest, gibt es keine Jahre, keine Tage. Vielleicht nicht einmal eine Stunde.
Nuria umrundete die Häuserecke, wo Falkensteine aus den Fassaden ragten wie spitzzüngige Salamanderklauen.
Jordi stampfte mit dem Fuß auf, zornig.
Und wusste gleichzeitig, dass er der Vernunft nachgeben und Nuria folgen würde. Was hatte er schon zu verlieren? Vielleicht wusste diese Fado wirklich irgendetwas? Und wenn nicht, nun ja, dann könnte er sich immer noch allein auf die Suche machen.
Jordi holte tief Luft und setzte sich in Bewegung. Über den Platz Largo de Sao Moniz lief er, bis er das andere Ende erreicht hatte und in das Gassengewirr dahinter eintauchte. Hier war es merklich belebter, Männer, Frauen, Kinder rannten umher, nervös wie Fliegenfische, riefen sich Warnungen zu, standen in Grüppchen beieinander, um zu beraten, was zu tun war.
Jordi musste sich auf die Zehenspitzen stellen, da er die alte Frau aus den Augen verloren hatte, aber gerade als er dachte, dass sie vielleicht verschwunden war, entdeckte er sie, hoch aufgerichtet, trotz des kleinen Wuchses ein machtvoller Pol zwischen all den aufgeregten Menschen.
Jordi rannte los und bald schon hatte er sie erreicht. Nuria blickte sich nicht einmal um, als er neben sie trat. Sie schien mit seiner Entscheidung gerechnet zu haben und das ärgerte ihn mit einem Mal noch mehr als alles andere.
Schweigsam durchquerten sie schnellen Schrittes Santo António à Sé, so schnell jedenfalls, wie es ihnen möglich war bei all der Hektik, die in den Straßen losgebrochen war.
»Woher wissen Sie eigentlich, wo Sie Catalina suchen müssen?« Am Ende schaffte es Jordi nicht, einfach so den Mund zu halten.
»Der Stein hat mich nach Lisboa gebracht.«
Jordi steckte die Hand in die Tasche und holte den glatten Aquamarin hervor, den er im Gewühl der flüsternden Märkte gefunden hatte.
»Ich suchte nach dem Stein, weil Steine zu mir sprechen.« Das Gesicht, das voller Falten war, wirkte ganz grau, mit einem Mal. »Gefunden habe ich aber nur dich.«
»Das tut mir leid.«
»Es muss dir nicht leidtun. Du musst nur laufen. Beeile dich, denn ich habe noch einiges vor.«
»Sie müssen nicht unfreundlich sein.«
»Ich bin, wie ich bin«, sagte sie, immer noch ruhig, aber dennoch herablassend. »Ich bringe dich zu Fado und dort werden sich unsere Wege trennen.«
»Aber wie sind Sie ausgerechnet auf mich gestoßen? Vielleicht hat es etwas zu bedeuten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist nur Schicksal«, murmelte sie. »Manchmal muss man das Leben eben so nehmen, wie das Leben es will. Wenn man alt an Jahren und etwas reicher an Erfahrung ist, dann weiß man, dass man daran nur selten etwas ändern kann.«
Sie lotste Jordi durch ein Gewirr aus Gassen und Plätzen, wo die Pflanzen, die an den Häuserwänden emporkletterten, mit ihren langen Stängeln elegant und zungengleich die Libellen aus der Luft schnappten. Es ging einen Berg hinauf, Schritt um Schritt dem Ziel entgegen.
»Wir müssen vorsichtig sein«, sagte Nuria Niebla und spähte in Winkel und tiefe Gassen. »Die Schatten lauern überall.« Aus der Ferne wurde man des Kanonendonners gewahr, der Fetzen aus Finsternis auf die Stadt schoss.
»Aber Sie haben mit den Schatten gesprochen.« Jordi erinnerte sich daran, wie Nuria ihn gerettet hatte. Die Schatten hatten sich auf ihren Befehl hin auf die Schakalwesen gestürzt. »Sie können über sie gebieten.« Er stockte und warf einen Blick zum Himmel, wo die Fäden der Meduza ihr dunkles Schattenreich errichteten.
»Da täuschst du dich, Junge«, sagte Nuria. »Ich kann nicht über sie gebieten. Die Schatten, die mir geholfen haben, waren Freunde. Einige von ihnen halten in diesem Moment gerade Ausschau nach Catalina.«
»Freunde?« Jordi war wie vom Donner gerührt. »Die Schatten sind es doch, die uns zerstören wollen! Sie sind keine Freunde. Sie sind die Bösen! Und sie sind hinter Catalina her.«
Nuria wiegte den Kopf. »Es gibt nicht nur Schwarz und
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