Die Koenigin der Schattenstadt
Santos.
»Sie ist anders«, gab er zur Antwort.
»Das ist alles?«, hakte sie nach. »Nur anders?«
»Schon als kleines Kind habe ich mit La Sombría sprechen können.« Kopernikus hing seinen Erinnerungen nach. »Es gab da ein Bildnis im Haus meiner Familie. La Sombría, die Königin der Schattenstadt . Jemand aus der Familie hat es einst gemalt. Kassandra Karfax ist ihr Name gewesen.« Er spie den Namen aus, als habe er einen giftigen Geschmack. »Wenn ich allein war und reden wollte, dann habe ich mich in den Raum mit dem Bild gestohlen. Stundenlang habe ich es angesehen. Ganz versunken bin ich in den Augen der dunklen Königin. La Sombría hat zu mir gesprochen, wenn niemand sonst das getan hat.«
»Was war mit Euren Eltern? Eurer Mutter?«
»Sie war eine verbitterte Frau, deren Herz für niemanden sonst schlug als für sie selbst.« Das war alles, was Kopernikus preisgab. »Aber La Sombría war gut zu mir. Sie nahm mich mit in ihre Stadt und zeigte mir Wunder, die ein Kind in Windeseile zu verzaubern vermögen. Und als sie später um meine Unterstützung bat, da willigte ich ein. Ein Teil von ihr ist immer bei mir gewesen.«
»Waren das die Schatten, die Euch verlassen haben?«, fragte Jordi.
Kopernikus beobachtete Makris de los Santos und sagte dann, Jordi zugewandt: »La Sombrías Kälte zu spüren war besser, als gar nichts zu spüren.« Er ging zum Fenster und sah zur Wüste hinaus. Die Sonne stand jetzt ganz hoch am Himmel.
»Warum erzählt Ihr uns das alles?«, fragte Makris de los Santos. »Warum seid Ihr überhaupt hier? Mit Eurer Hilfe konnte die Finsternis auf Beutezug gehen. Ihr seid nur der Bösewicht, der in jeder guten Geschichte am Ende stirbt.«
»So also seht Ihr mich?«
»Ich weiß, was Ihr getan habt.«
»Es tut mir leid«, sagte er, ohne den Blick von der Sonne abzuwenden.
Makris de los Santos drehte den Kopf in Richtung der Stimme, die sie das Gesicht verziehen ließ. »Als ich ein Kind war, da habe ich miterlebt, was Ihr angerichtet habt.«
»Dann wird Euch sicher freuen zu hören, dass ich zum Schluss versagt habe.« Seine Stimme klang bitter.
»Ihr habt versagt?«
»Ich bin auf der Suche nach den Kartenmacherinnen gewesen. Sie waren es, hinter denen La Sombría her gewesen ist. Mein Auftrag lautete, sie zu finden: Catalina Soleado, deren Mutter und Nuria Niebla.«
Jordi starrte ihn an.
Irgendwie hatte er sich so etwas gedacht.
Kopernikus drehte ihm immer noch den Rücken zu. »Ich machte Nuria Niebla auf der Insel Eivissa ausfindig, an einem Ort namens Xarraca, doch als ich dort war, zündete sie sich an, von eigener Hand. Sie verbrannte, mit all ihren Karten.« Er schüttelte den Kopf. »Ich Narr! Sie hatte die Fähigkeit, in den Flammen zu reisen. Du hast es gesehen, Jordi.«
Er nickte.
Stumm.
»Nachdem sie geflohen ist, habe ich mich nach Barcelona begeben, um Sarita Soleado zu finden. Gefunden habe ich aber nur ihre Tochter. Und erfahren, dass ihre Mutter mit La Sombría unter einer Decke steckt.« Er drehte sich um. »Alle haben sie mich nur benutzt. Alle haben ein falsches Spiel gespielt.«
»Sollten wir deswegen Mitleid haben?« Makris klang höhnisch.
»Nein.« Kopernikus schüttelte den Kopf. »Das ist nur der Grund, warum ich jetzt über das rede, was geschehen ist. Deswegen helfe ich euch, so gut ich kann.« Er strich leise mit der gesunden Hand über seine runzelige Rechte, die aussah, als wäre sie binnen Stunden um Jahre gealtert. »La Sombría schenkt mir nicht länger ihre Kraft.«
»Wie bedauerlich!«, grollte Makris de los Santos.
Kopernikus fuhr herum, ganz plötzlich, und ging mit viel zu schnellen Schritten auf sie zu. »Warum versprüht Ihr Euer Gift, Zigeunerhexe?«, schrie er sie an. »Ich war ein Kind, als ich La Sombría kennenlernte. Ich war dumm, ja, ich gebe es zu. Doch jetzt ist es vorbei. Ich würde vieles anders machen, aber das kann ich nicht. Die Zeit gibt einem keine zweite Chance.« Er packte Makris de los Santos an den Schultern, und als er sie schüttelte, da klimperten die Ringe und Ketten an der Zigeunerhexe wie wilde Zirkusmusik. »Ich habe Hexen verbrennen lassen. Ich habe sie gejagt. Alle in meiner Familie haben das getan.« Er spuckte ihr die Worte entgegen. »Und Ihr? Was habt Ihr in Eurem Leben getan, das Ihr bereut? Gibt es da nichts?« Er ließ sie los und durchquerte den Raum, wollte hinausrennen, blieb dann aber doch stehen, schwer atmend.
Makris de los Santos saß erschrocken in ihrem Stuhl. Ihre Augen funkelten
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