Die Koenigin der Schattenstadt
wie schöne Steine nach einem heftigen Regen. »Ihr habt mir wehgetan«, sagte sie leise und rieb sich die Schultern, wobei ihre Hand, die zu Mosaiksteinchen geworden war, leise Geräusche machte.
Kopernikus drehte sich zu ihr um. »Verzeiht mir. Ich sollte jetzt gehen.«
»Nein.« Makris de los Santos hob die Hand. »Bleibt«, bat sie ihn. Etwas in ihrer Stimme war anders geworden. Weniger rauchig, weniger brennend vor Zorn.
Kamino und Makris schwiegen beide.
Jordi, der den Streit wortlos verfolgt hatte, trat auf Kopernikus zu. »Was passiert mit meinem Körper, wenn ich als Schatten in diese Stadt gehe?«, fragte er eindringlich. »Bitte, ich muss es wissen.«
Karfax seufzte. »Junge – ich dachte, das Thema hätten wir ein für alle Mal beendet. Dein Körper gehört von diesem Augenblick an dem Harlekin, der dich verwandelt hat.«
»Aber wie kann das sein? Die Harlekine leben doch weiter.« Jordi hatte gesehen, was sie taten. Sie traten ganz nah vor die Menschen und Finsternis sprang auf sie über. Die Menschen wurden zu Schattenaugenmenschen und die Harlekine gingen weiter ihres Weges und infizierten andere Menschen, wieder und wieder. Wie eine Krankheit, so breitete sich die Finsternis unter ihrer Herrschaft aus.
»Das, was du einen Harlekin nennst, bezeichnet man auch als Eistreter«, sagte Kopernikus. »Die Schatten nennen sie Flüsterer. Sie sind von Grund auf böse. Auch wenn sie nur einen kleinen Teil von sich geben, ist es um ihre Opfer geschehen.«
»Was meint Ihr mit kleinem Teil?« Makris wandte ihr Gesicht dorthin, wo sie Karfax vermutete. Ihre Miene war wieder ganz ausdruckslos – keiner von ihnen konnte erkennen, was ihr im Kopf herumgehen mochte.
»Nur ein winziger Tropfen aus dem Schatten eines Harlekins, geträufelt ins Auge des Opfers, und es ist um ihn geschehen. Sie können ihre Finsternis an Mensch und Tier gleichermaßen weitergeben.«
Jordi fragte sich, wie kompliziert dies alles wohl war. Wie viele Arten von Schatten gab es? Worin unterschieden sie sich?
»Aber was passiert mit dem Körper, den sie in Besitz nehmen? Was ist mit all den Leuten geschehen, die in Barcelona, Lisboa und den anderen Städten ein Opfer dieser Schatten wurden? Leben sie jetzt in der Schattenstadt?«
Kopernikus nickte nachdenklich. »Mehr oder weniger.«
»Was heißt denn das nun schon wieder?«
Eine Antwort darauf erhielt Jordi nicht. Dafür sagte Kopernikus: »Während du in der Schattenstadt weiterlebst, altert dein Körper in der richtigen Welt. Und wenn dann seine Zeit gekommen ist und er stirbt, dann lebt dein Schatten noch immer weiter. Er wird sich leer fühlen, wie tot. Er wird keine Gefühle mehr haben. Aber er wird weiterleben. Und das ist etwas, das nicht sein darf.«
»Glaubt mir, das möchte ich auch nicht«, sagte Jordi schnell. »Aber sagt: Wenn ein Harlekin Catalina gefasst hat . . .«
». . . dann ist ihr Schatten jetzt in La Sombrías Reich. Wenn sie infiziert wurde, dann lebt sie fortan nur als Schatten in der wandernden Stadt.«
Jordi stand auf. Seine Stimme war kaum mehr die Stimme eines Jungen. »Ich gehe zu ihr.« Er trat vor Kopernikus, sah ihm fest in die Augen.
»Jordi! Du kannst ihr nicht helfen!«
»Wenn ich bei ihr bin, werden wir einen Weg finden.«
»Es wäre dumm von dir, es zu versuchen.« Makris’ Stimme klang mit einem Mal ganz sanft.
»Aber es ist das Richtige. Und wenn es dumm ist, dann ist es eben so.«
Kopernikus betrachtete den Lichterjungen. Dann nickte er langsam.
»Du liebst sie wirklich«, stellte Makris de los Santos fest. »Du liebst sie so sehr, dass du all das Licht hier für sie aufgeben willst.«
»Ich will, dass sie wieder bei mir ist.« Jordi hatte nicht die leiseste Ahnung, ob dieser Wunsch so selbstlos war, wie er sich anhörte. Gewiss, es klang heldenhaft. Allen Gefahren zum Trotz wollte er sich in die unsicheren Gefilde der Schattenstadt begeben, um sein Mädchen zu finden. Doch war es Mut, der ihn antrieb? War es nicht eher das Gegenteil?
Am Ende war es doch die schiere Verzweiflung. Er hatte erkannt, wie sehr er Catalina vermisste. Er wollte wieder bei ihr sein, weil er wusste, dass er nur glücklich sein würde, wenn sie da wäre. In Wahrheit war es purer Eigennutz.
Kamino schaltete sich ein. »Hast du dir mal überlegt, was du tust, wenn du dort bist und feststellst, dass du dich geirrt hast? Vielleicht war sie dort, meinetwegen. Was aber, wenn sie den gleichen Gedanken hatte wie du und dich in dieser Welt sucht?«
Jordi
Weitere Kostenlose Bücher